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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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Gesicht erinnert mich an Agnetha von ABBA . Sie lächelt mich immer so wissend und milde an. Sie ist auf meiner Seite. Das ist schön. Das ist so in Therapien, der Therapeut ist auf der Seite des Patienten. Sie gibt sich große Mühe, mich zu verstehen.
    Sie lässt mich vorgehen in den heiligen Therapieraum. Da steht die Couch, auf der ich schon so viele Stunden verbracht habe. Es ist immer frisch gelüftet, damit es nicht nach Patient riecht. Das wollen wir nicht. Es wird versucht, die Existenz von anderen Patienten zu leugnen. Ich lasse mich aber nicht foppen. Auch nicht von Frau Drescher. Sie schließt das Fenster, ich nehme mir die Fleecedecke mit dem komischen Wüstenmuster, um mich vor all den Naturgewalten zu schützen, die gleich auf mich einprasseln. Dann lege ich mich hin. Auf das Kissen für meinen Kopf legt sie jedes Mal ein frisches kleines Tüchlein in Hellblau. Das mache ich oft komplett nass, wenn ich mit frisch gewaschenen Haaren komme. Sie hat mir erzählt, dass es nicht schlimm ist, da jeder Patient ein frisches bekommt. Es liegt ein Stück feinster Baumwollstoff zwischen dem direkten Kopffetttalgkontakt der einzelnen Patienten. Wo Frau Drescher diese Tüchlein aufbewahrt, ist mir bis jetzt ein Rätsel. Am Fußende der schwarzen Ledercouch liegt eine Matte, wie sie normalerweise vor der Tür im Treppenhaus liegt. Die hat sehr kratzige Borsten. Frau Drescher merkt oft, dass sie mich kratzen, sie erlaubt mir, die Matte wegzulegen, mach ich aber nie, es soll direkt zur Sache gehen. Ich verheimliche einfach die ganze Stunde, dass mich ihre Fußmatte piesakt. Vor allem im Sommer mit nackten Beinen.
    Wenn ich daliege, warte ich, bis sie die Tür geschlossen und sich hinter mich gesetzt hat. Die Tür ist schalldicht isoliert, was mir in meinem Verfolgungswahn sehr gut gefällt. Ich liege dort, in meiner ewig gleichen Leichenstellung, die Arme und Hände sind über der Decke, die soll ja nicht denken, dass ich da heimlich fummele. Und die Finger sind ineinander verschränkt, wie es Betende tun. Auch wenn ich sehr gegen Beten bin. Ich kann an die Decke gucken: weiße Raufaser. Nach links an die Wand: weiße Raufaser.
    Wenn ich über meine Füße hinweggucke, steht da, an die Wand angelehnt, ein riesiges Gemälde. Keine Ahnung, warum es lehnt und nicht hängt. Was mir Agnetha damit sagen will? Ich denke ja immer, sie will mir mit allem was sagen, aber bei dem Bild weiß ich nicht, was. Vielleicht: Hey, schau her, liebster Patient, ich bin auch nur ein unvollkommener Mensch, ich mache manchmal nur halbe Sachen, lalala.
    Auf dem Bild sieht man einen total schlecht gemalten überdimensional großen Teufel. Einen nackten Mann, der auf dem Boden hockt, ich gucke ihm immer zwischen die Beine, aber der Sack hängt nicht unten raus. Um seinen Kopf herum fliegen ganz viele kitschige kleine Vögelchen. Während ich über meine neusten Probleme rede, zerbreche ich mir ständig den Kopf darüber, warum sie gerade dieses Bild ausgesucht hat, um es den Patienten an das Fußende zu stellen. Wahrscheinlich ist sie selber auch einfach verrückt. Das jedenfalls glotze ich Stunde um Stunde an. Ich habe es schon verwischt gesehen, weil ich geheult habe, ich habe es schon zitternd gesehen, weil ich eine Panikattacke hatte. In jedem erdenklichen Zustand musste ich mir ein Bild vom Teufel angucken, dem Vögelchen um den Kopf herumfliegen. Was will sie damit bewirken?
    Wenn ich nach rechts gucken würde, das mache ich aber nie, dann würde ich einen Raum vollgestopft mit Geschmacklosigkeiten sehen. Zwei Gummibäume, eine schwarze Achtzigerjahre-Vase, die einen Meter hoch ist. Darauf hat sie einen rund geschliffenen Halbedelstein der lilafarbenen Sorte gelegt. Die ganze lange Fensterbank steht voll mit nutzlosem Zeug. Eine Stahlschildkröte mit bösen Augen, eine Art Aschenbecher, voll mit schwarzem Sand, ein Gekko aus Stoff, gefüllt mit Trockenerbsen. Ich glaube, die Style-Sozialisation von Agnetha muss in den Achtzigern stattgefunden haben. Da würde ich mich festlegen. Aber was weiß ich. Komisch. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, wie alt sie ist. Auf jeden Fall ist sie älter als ich. Ganz sicher. Ich habe auch mal gelesen, dass Psychologen oder Psychiater, wo ist eigentlich der Unterschied?, ihre Patienten foppen, indem sie sich komplett anders einrichten, als sie es zu Hause tun. Der Patient soll was haben, an dem er sich reiben kann. Das funktioniert mit der Einrichtung von Frau Drescher jedenfalls super gut. Wenn sie

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