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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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weiter darüber reden, dann wird der Drang nur noch schlimmer. Und ich werde ganz sicher nicht, egal, wie schlimm es wird, bei Ihnen die Toilette benutzen. Nur pinkeln geht. Mehr schaff ich nicht.«
    »Wie lange sind Sie jetzt bei mir? Acht Jahre. Und immer noch so wenig Vertrauen auf dem Gebiet. Die anderen Patienten gehen auch hier.«
    »Ja, toll, von Ihren anderen Patienten will ich auf dem Gebiet erst recht nichts hören. Iiihhh. Sie sind so ekelhaft, das jetzt ins Spiel zu bringen. Also wirklich, jetzt wird mir auch noch schlecht bei dem Gedanken.«
    »Ich kann nur immer wieder anbieten, dass Sie herzlich eingeladen sind, die Toilette hier auch zu benutzen.«
    Mein Darm macht ganz schreckliche Geräusche.
    »Daran sind Sie jetzt schuld, wegen Ihrem ganzen Gequatsche darüber. Themawechsel. Ihre komischen Einladungen immer. So. Wo waren wir stehen geblieben? Die wichtigen Sachen! Mann!«
    Mein Darm macht weiter schlimme Geräusche. Ich versuche das Unmögliche, ich versuche es zu ignorieren.
    »Ja, genau, wir waren da stehengeblieben, dass ich es gut finde, meinem Mann was Gutes zu tun und dabei meine Mutter zu betrügen. Ich fühle mich dann frei und locker und glücklich, wenn ich das Gegenteil mache von dem, wozu sie mich erzogen hat. Sie war eben auch mit ihrem Männerhass voll auf dem Holzweg! Dafür muss ich acht Jahre zu Ihnen gehen, um festzustellen: Der Mann ist überhaupt nicht der Feind. Vor allem nicht der eigene. In meinem Fall ist leider die Mutter der Feind! Mein Mann ist der viel größere Feminist als meine Mutter.«
    »Ja, das glaube ich allerdings auch.«
    Sie lacht. Ich denke insgeheim, dass ich dafür da bin, meine Therapeutin zum Lachen zu bringen. Selbst die schrecklichsten Dinge versuche ich ihr lustig zu verpacken, damit sie bei der Arbeit an mir auch Spaß hat. Ich möchte so gerne einzigartig sein, alle anderen Patienten ausstechen. Die Klügste, die Lustigste, die Bravste, die Beliebteste sein. Ich möchte die Patientin sein, die meine Therapeutin am schnellsten am weitesten reinlässt in die Psyche, damit sie die besten und schnellsten Erfolge mit mir erzielt. Mit mir. Mit mir. Mit mir. Ich nehme mich selber sehr hart ran, ich erzähle ihr alle ekelhaften Seiten an mir, gerade das Schlechte, das Böse, alles muss raus, damit sie Materie zum Kneten hat. In der Therapie ist Selbstschutz völlig fehl am Platz. Sie ist voll auf meiner Seite, sie will nur helfen. Also: alles in die Waagschale und geknetet, nicht lange rumfackeln, nicht zaudern, überlegen, darf ich das erzählen? Alles raus damit, um den Heilungsprozess zu beschleunigen, um alle Lernprozesse von ihr so schnell wie möglich zu übernehmen, damit ich für immer eine gute Frau für meinen Mann bin und eine möglichst gute Mutter für Liza.
    In der Stunde unterhalten wir uns zum hundertsten Mal über die Verbindung Sex und Eltern. Alles gut machen müssen, damit die Eltern einen lieben, und wie sauer ich immer noch bin auf meine Eltern, dass sie mir mit so viel Mist im Kopf rumgepfuscht haben. Ich erzähle ihr von dem Ausflug morgen und dass ich stolz bin, dass ich ganz offensichtlich besser blasen kann als jede Nutte. Ich erkläre Frau Drescher, wie wir die aussuchen, die Damen. Georg und ich sind eigentlich beide zu höflich für das Rotlichtviertel. Wir haben schon ganz oft mit unattraktiven Frauen geschlafen, weil wir uns nicht getraut haben, bei Ansicht zu sagen, nein, das ist nichts für uns. Wir sind zu weich für so was. Dann schlafen wir lieber mit einer Hässlichen und zahlen ihr ganz viel Geld dafür, circa dreihundertfünfzig Euro die Stunde, weil sie ja gleichzeitig zwei Kunden befriedigen muss, als ihr zu sagen, dass sie uns nicht anspricht. Ich bin da härter im Nehmen als mein Mann. Er ekelt sich nachher richtig und versucht unter der Dusche die Bilder der viel zu dicken Frau wegzuwaschen. Ich muss dann immer lachen über uns, wie bescheuert wir sind, so feige zu sein und nicht wie jeder Freier einfach zu sagen, was wir denken.
    Mittlerweile haben wir uns ein Zeichen ausgedacht, wenn der eine oder der andere die Frau oder ihren Körper abstoßend findet. Wir sagen dann: »Oh, hier ist es aber ziemlich warm drin.« Weil ich uns auch nicht so besonders hübsch finde, nehme ich es nicht so schwer, dass eine nicht hübsch ist. Für mein Lebensbuch, in das ich alle Besonderheiten, die ich erlebe, mental eintrage, ist es ganz gut, mal mit einer Dicken geschlafen zu haben oder aus Versehen auch mal mit einer mit

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