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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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mal ein Bild abhängt oder umhängt, kriege ich eine Krise. Ich komme rein, bemerke sofort die Veränderung und frage sie völlig entgeistert, was das solle. Warum es nötig sei, ständig alles zu verändern. Wo das Bild sei? Wann es zurückkomme? So, wie sie mich dann anguckt, weiß ich ganz genau, dass heute schon fünf Patienten vor mir genauso reagiert haben. So viel zu meiner tollen Individualität!
    Dann geht’s los.
    »Ich muss mich erst einmal entschuldigen bei Ihnen, Frau Drescher, nur falls Sie schon was riechen. Ich sage es lieber direkt, besser, als wenn ich mir die ganze Stunde Gedanken mache, ob Sie was merken oder nicht.«
    »Richtig, Frau Kiehl, lieber sagen, es soll Sie ja nichts belasten oder ablenken hier bei mir, lieber räumen wir direkt am Anfang alles aus dem Weg. Was soll ich denn schon bemerkt haben?«
    »Ich hatte grad, kurz bevor ich zu Ihnen gekommen bin, Sex. So, jetzt ist es raus. Ich habe mich nur sehr schlampig gewaschen, Sie haben ja mal gesagt, ich muss nicht immer perfekt zu Ihnen kommen.«
    »Schön. Mit wem denn?«
    »Haha, wollen Sie mich veräppeln? Mit wem wohl? Mit meinem Georg. Natürlich.«
    »Ja, ist ja schon gut. Ich frage nur wegen Ihrer Sexphantasien in letzter Zeit.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Fühlen Sie sich denn jetzt gut?«
    »Hä, natürlich, was denken Sie denn? Nach Sex mit Georg fühle ich mich immer gut. Das wundert mich ein bisschen, dass wir überhaupt noch Sex haben, weil wir doch schon so lange zusammen sind. In jeder anderen Beziehung war meine Freude am Sex ungefähr nach drei Jahren weg. Hier hält es schon seit sieben Jahren. Das wundert mich. Und ich habe Angst, dass es bald verloren geht. Sie wissen ja: Sobald der Sex verschwindet, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Liebe auch flöten geht!«
    »Ja? Denken Sie, so läuft das?«
    »Ja, das denke ich, so war das bis jetzt bei jeder einzelnen Beziehung von mir, seit ich dreizehn war. Genauso läuft das. Ich versuche immer rauszufinden, wieso das mit Georg schon so lange so gut läuft. Und jetzt sag ich Ihnen mal was, Frau Drescher, ich glaube, ich lasse mich von seinem Geld bumsen. Das glaube ich. Weil er der Erste ist, der mehr Geld hat als ich, hält das so lang, deshalb finde ich ihn immer noch sexy, jetzt nicht in einem gut aussehenden Sinne, sondern in einem Bumssinn. Da bin ich fest von überzeugt!«
    »Diese Theorie kenne ich ja schon von Ihnen. Reden Sie nicht da die Liebe, die Sie für Ihren Mann empfinden, zu klein? Sie reduzieren sie auf Geld und Sex. Ich glaube, so halten Sie sich die tiefen Gefühle fern von Ihrem Herzen, dann ist es nicht ganz so schlimm, falls es mal doch kaputtgeht oder falls er sterben sollte.«
    »Die Theorie kenn ich auch schon von Ihnen. Wir kommen da nicht weiter. Heute im Viertel habe ich kurz gedacht, ich hätte meinen Vater gesehen.«
    »Und? Was haben Sie dann gemacht?«
    »Einfach weitergegangen. Ich grüß den doch nicht. Sie wissen doch, ich will den nie wiedersehen, wenn’s geht. Da kann ich doch nicht einfach Hallo sagen, auf der Straße, dann geht die gleiche Scheiße doch wieder von vorne los, mit seiner scheiß Frau, also meiner bösen Stiefmutter. Sie haben das doch letztens so gut gesagt, wie war das noch mal? Sie meinten, ich hätte jetzt das Gefühl, lang genug meinen Eltern passiv ausgeliefert gewesen zu sein, die ganze Zeit als Kind und Jugendliche. Und jetzt, obwohl es mich oft sehr schmerzt, entscheide ich mich, aktiv zu sein, mich aktiv von ihnen zu trennen, dann können sie mir wenigstens nicht weiter wehtun. Ja. Genau. Und Sie haben gesagt: Man kann die Eltern durch Trennung nur außen loswerden, im Inneren bleiben sie immer da, weil es ja die Eltern sind. Horror!«
    »Das spüren Sie auch mittlerweile, Frau Kiehl? Dass Sie sie nur außen loswerden? Nicht wahr?«
    »Na klar, aber ich finde es allemal besser, mich aktiv von ihnen zu trennen, für immer, ich weiß, Sie mögen das Wort nicht gern, ›für immer‹, ich darf das aber sagen, weil ich es so meine, auch wenn Sie das nicht wollen, dass ich das sage, auch wenn ich sie innerlich nie loswerde, wie so einen scheiß Virus! Geht eben nicht einfach so weg. Das Elternaids. Und auch wenn ich für immer daran leide, ich halte die Entscheidung trotzdem für richtig. Weil ich endlich mal aktiv sein kann. Ich will nicht jeden Geburtstag immer wieder als scheiß alte Erwachsene darauf warten, ob mein Vater jetzt an meinen Geburtstag gedacht hat oder nicht. Er schafft es bis heute, mir die

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