Schossgebete
reinzuwaschen. Ich habe keine Ahnung, was sie in den zehn Minuten macht. Ich habe sie in Verdacht, dass sie sich die Krankenakte noch mal durchliest, weil sie sich das doch unmöglich alles merken kann, all die Schwiegermütter und Exmänner, Kinder- und Tiernamen, die die Leute ihr in einem riesigen Redeschwall entgegenwerfen. Sie hat sich in den ganzen acht Jahren noch nie vertan bei mir. Ich warte immer darauf, dass sie Oliver zu meinem Mann sagt. Oder Ihr Sohn statt Ihre Tochter. Noch nie passiert. Deswegen denke ich mal, hortet sie da in ihrem Milchglaszimmer lauter Zettel über uns arme Irre, auf denen sie nach der Stunde schnell die neuen Namen ergänzt. Ich stelle mir vor, dass ihr Mann, hoffentlich ein Mann, sie abfragt nach all den Namen in unseren Familien.
Ich kann mir aussuchen, ob ich auf einem Stuhl in ihrem Flur warte oder in dem Gruppensitzungszimmer. Da stehen locker zwölf Stühle. Da finden die Gruppenpaartherapien statt. Mein Mann und ich haben uns aber lieber, um unsere Ehe zu retten, damals, eine Einzelpaartherapie geleistet. Mein Mann ist sehr gegen Gruppen, beim Tai Chi, bei Therapien, nur beim Sex hat er nichts gegen Gruppen.
Überall hängen Bilder, von denen ich glaube, dass die Drescher sie selber gemalt hat. Sie stellen nackte Menschen im Garten Eden dar. Über die Körper wandern Schlangen. Überall auf den Bildern sind bunte Blumen. Die Menschen sind nicht richtig ausgemalt, man sieht nur ihre Silhouetten. Im Gruppensitzungsraum steht ein volles Bücherregal, was mich sehr beruhigt, denn das ist für mich der Beweis, dass sie das studiert hat, mit dem sie immer in meinem Kopf rumfuhrwerkt, dass sie schlau ist, und wenn sie mal nicht weiterkommt, kann sie in ihren Büchern nachschlagen. Wenn ich viel zu früh bin, ziehe ich ein beliebiges Buch aus dem Regal, schlage es irgendwo auf und versuche zu begreifen, was da steht. Das klappt aber nie. Das scheint irre kompliziert zu sein!
Zur vollen Stunde kommt sie dann aus ihrem Büro geschlichen und sucht mich. Ich höre ihre Schritte den immer gleichen Weg abgehen. Erst im Flur, dann im Gruppenraum. Stellt sich in den Türrahmen und sagt: »So.« Und lächelt mich ermutigend an.
Ich stehe auf, schon tausendmal gemacht, gehe selbstbewusst auf sie zu, gucke ihr in die Augen, wie ich es von meinen Eltern gelernt habe, schüttele ihr die Hand und sage: »Guten Tag.«
Mir ist es sehr unangenehm, sie anzufassen. Man macht das zwar, weil es in unserer Gesellschaft dazugehört. Aber ich fasse meine Therapeutin lieber nicht an. Nicht weil ich sie ekelhaft finde, sondern weil ich finde, dass wir eine rein geistige Beziehung führen, da stört die Berührung eher. Mich jedenfalls. Hab ich aber noch nie mit ihr drüber geredet. Vielleicht sollte ich mal, dann könnten wir das abschaffen vielleicht. Viel von dem, was ich mir als Thema für die Stunde fest vornehme, vergesse ich, sobald ich diesen Aufzug benutzen muss oder sobald ich sie sehe, dann geht es plötzlich um was ganz anderes.
»Guten Tag«, sagt sie zurück. Schnell lassen wir die Hände der anderen wieder los. Ist peinlich.
Sie trägt meistens ganz fein einen Hosenanzug. Oder eine männliche Bluse, mit chic geschnittener Hose und V-Ausschnitt-Pullover drüber. Sie mag Pastellfarben. Rosé, Flieder, Lachs, Hellblau, Hellminze. Sie hat blonde lange Haare. Und Brüste. Aber richtig. Einen schönen Körper, nicht zu dünn und nicht zu dick. Sie sieht sehr gesund aus, zum Glück, sie soll nämlich noch lange leben. Erwähnte ich schon ihre Brüste? Sie hat Brüste. Das Thema Brüste spielt eine große Rolle in meiner Therapie. Mein lebensbestimmender Brustkomplex. Ich hetze dort regelmäßig über Frauen mit großen Brüsten und blonden Haaren. Meine Therapeutin hat auch große Brüste, also von mir aus betrachtet, aus der Froschperspektive, was Brüste angeht, und sie hat auch knallblonde Haare. Das ist manchmal komisch für mich, dass ich wirklich sagen soll, was ich denke. Ich frage regelmäßig nach, ob ihr das nicht zu weit geht. Sie ist da aber ganz unterstützend. Es geht ja nicht um ihre Gefühle oder Empfindlichkeiten. Sie hat das ja studiert. Sie steht über den Dingen. Ich muss das in der Therapie raushauen dürfen, ohne an ihre Gefühle wegen der Brüste denken zu müssen.
Sie ist auch körperlich viel größer als ich, was ich sehr gut finde. Sie trägt viel Wimperntusche, pechschwarz, und hellblauen Lidschatten. Der passt perfekt zu ihren dunkelblauen Augen. Ihr ganzes
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