Schossgebete
Kind.
Schrecklich. Ich würde lieber keinen, mit dem ich Sex hatte, nach Beendigung der Beziehung mehr wiedersehen. Wenn man sich sieht, muss man immer daran denken beziehungsweise wird gegen seinen Willen daran erinnert. Schlimm. Weil es fast unmöglich scheint, dass das mal so war, früher, vor Urzeiten.
»Also, guck mal bei Wikipedia nach, bitte, dann muss ich nicht so ins Detail gehen. Du kannst deinen Stuhl untersuchen, die kriechen da drin rum, wenn du sie hast. Die sind knallweiß und extrem aktiv, die bewegen sich wie verrückt. Oder du hältst die Klebeseite vom Tesafilm ans Poloch.«
O Gott, ist das peinlich.
»Dann bleiben die dran kleben, wenn du welche hast, dann weißt du Bescheid.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das dann auch habe. Wie gesagt, ich habe es nur auf was anderes geschoben. Bei mir juckt es auch total.«
Ich muss grinsen. Mann, ist das bescheuert mit diesen Patchworkfamilien, keine Schmach bleibt einem erspart.
»Ich versuche für uns alle vom Kinderarzt Medizin zu bekommen. Nicht, dass wir alle untersucht werden müssen. Schätze mal, dass der mir einfach glaubt, wenn ich ihm sage: Vater und Mutter und Kind haben Würmer. Ich weiß nur nicht, ob er als Kinderarzt Erwachsenen Medizin verschreiben darf. Na ja, ich pass ja wenigstens in Kinderklamotten, bei dir wird es schwieriger, als Kind durchzugehen. Mach erst mal nichts, vielleicht besorg ich uns allen die Medizin. Ich ruf dich morgen nach dem Arzt an, ja?«
»Und Georg, hat der nichts?«
»Nein, den haben wir noch nicht angesteckt, zum Glück.« Voll gelogen, aber er sitzt neben mir, was soll ich sagen, er lügt mich ja an, dass er die nicht hat, ich weiß genau wegen seiner Reaktion zu meiner Wurmfrage, dass er auch Befall hat, er will nur für mich weiterhin sexuell attraktiv sein, vermute ich, deswegen lügt er.
»Wenigstens etwas. Okay, vielen Dank, dann bis morgen.«
Mein Mann guckt mich bedauernd an, jetzt fällt ihm auch nichts mehr ein. Wir müssen einfach warten. Neun Stunden warten. So schrecklich ich das finde und so ekelhaft es ist, es ist auch ein bisschen aufregend. Weil ich das ja noch nie hatte. Jedenfalls nicht bewusst, im Erwachsenenalter. Ich frage ihn, ob er die Würmer mal sehen will, ich kann ja fühlen, dass sie sich gerade zuhauf draußen aufhalten, es ist ja Luftschnappzeit in ihrer Zeitrechnung. Die Idee, dass er die Würmer angucken soll, ist so eine mütterliche Idee, er soll mal kurz meine Mutter sein und mir helfen, er soll mir den Horror nehmen und sich das mit mir zusammen angucken und mich trösten und mir hoffentlich sagen, dass es nicht so schlimm aussieht, wie es in meiner Vorstellung ist. Er weigert sich aber.
»Auf gar keinen Fall guck ich mir deine Würmer an.«
Ich bin sofort total beleidigt. Er will nicht meine Würmer angucken? Warum nicht? Was für ein verlockendes Angebot. Ich würde umgekehrt sofort Ja sagen. Ich bin krank, befallen sogar, und er will sich das Elend nicht angucken?
»Ich halte das für keine gute Idee. Ich sollte mir das nicht angucken. Wir sind zwar zusammen, sogar verheiratet, aber das heißt nicht, dass ich mir alle ekligen Sachen angucken muss, die du hast.«
Jaja, ich weiß, jetzt kommt der Vortrag über die Geburt und dass der Mann das lieber nicht im Detail sehen sollte, weil er sich sonst die Sexualität mit der Frau ruiniert. Tausendmal gehört von meinem Mann.
»Das ist genauso, wie wenn die Männer bei der Geburt ihrer Kinder wie so ein Arzt genau da hinschauen, und dann verkraften die das nicht, dass die Scheide so zerfetzt und gespreizt wird«, sagt er.
Auch dass so viel Scheiße bei einer Geburt rausgedrückt werden kann, verkraften viele Männer nicht. Die Kombination von Scheiße und Neugeborenem sagt doch sehr viel aus über den Menschen an sich. Dass die beiden Löcher so nah beieinander sind, das ist doch der Beweis, dass es keinen Gott gibt, der hätte die doch so weit wie möglich voneinander weg gemacht, eins am Fuß und eins am Kopf!
Nach der Geburt, wenn der Mann damit nicht gut klarkam, ist Sex doch fast unmöglich. Man muss sich den sexuellen Aspekt des Geschlechtsorgans bewahren, sonst war es das, da hat mein Mann völlig recht.
Mit dem Würmer-zeigen-Wollen habe ich aber das Gefühl, dass ich ihm etwas Schönes angeboten habe, und er gibt mir einfach einen Korb. Dachte, er findet es mindestens genauso aufregend wie ich, dass ich jetzt Würmer habe. Er gibt mir einen Korb, und das macht mich erst traurig und dann
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