Schossgebete
für die Ehe oder die Hochzeit? Ich bezahle den Restbetrag für ihre Arbeit, und wir heben gemeinsam das riesige Kleid in einen auf dem Boden ausgebreiteten überdimensionalen Kleidersack. Die Schneiderin hat Tränen in den Augen. Ganz schön kitschig, die Alte. Kitsch, hab ich mal gelesen, ist die Verleugnung von Tod und Scheiße. Sie passt auf, Zentimeter für Zentimeter, dass nichts von der Spitze in den Reißverschluss gerät.
Wir tragen das Kleid wie eine in Teppich eingewickelte Leiche zusammen in das Taxi und legen es vorsichtig auf die Rückbank, ich hebe den raushängenden Teil an, schließe die Tür, bis mein Arm fast eingeklemmt ist, ziehe ihn raus und schlag schnell die Tür zu. Geschafft.
Wir steigen ein, und als wir wegfahren, winkt die Schneiderin, jetzt offen schluchzend, hinter uns her. Ich habe das Gefühl, ich habe ihr das einzige Kind genommen. Sie hat so lang an dem Kleid gearbeitet und auch wirklich viel damit verdient, irgendwie will sie es nun wohl ungern hergeben. Es ist aber jetzt meins. Meins. Meins. Meins. Es passt nur mir, weil es eine Maßanfertigung ist. Mit dem Taxifahrer unterhalte ich mich die nächsten achtzig Kilometer ausschließlich über die Hochzeit. Als wir ankommen, weiß er alles. Wie die Torte aussehen wird. Wie viele Leute eingeladen sind. Wie viele Alkoholiker ich in meiner englischen Familie habe. Dass ich inständig hoffe, dass es zu einer Schlägerei kommt. Weil das zu einer gelungenen Hochzeit dazugehört. Dass alle meine Brüder das gleiche Hawaiihemd tragen werden, das ich ihnen ausgesucht und gekauft habe. In verschiedenen Größen natürlich. Es ist ja Hochsommer. Dass für alle Gäste kleine Schleierkrautbuketts bestellt sind, die sie sich alle anstecken müssen. Welches Adriano-Celentano-Lied von Kassette läuft, nachdem wir Ja gesagt haben. Dass die Braut und der Bräutigam jeweils eigene tanzbare Mixtapes aufgenommen haben, um sich im Hotel den DJ zu sparen. Musik für neun Stunden Tanz.
Die Sonne scheint uns ins Taxi. Und als wir den Hintereingang des Hauses meiner Mutter anfahren, kommt die ganze Familie rausgerannt, um mich zu begrüßen. Wir parken hinter dem vollgestopften Reiseauto meiner Mutter. Alle Türen stehen offen, und es quillt nur so über von Zeugs. Schlafsachen für alle Kinder, schicke Kleidung für die Hochzeit, bestimmt auch Geschenke für uns, das Brautpaar, Bücher, Spielsachen für die Kinder für die vier Tage, die wir in England bleiben wollen, zum Feiern. Alle sind entweder in dem Hochzeitshotel oder in nahe gelegenen Bed&Breakfast-Pensionen einquartiert. Hauptsache, jeder kann betrunken zu Fuß sein Bett erreichen am Hochzeitstag. Also morgen, jetzt ist Anreisetag für alle.
Ich muss mit dem gleichen Taxi schnell wieder in meine Stadt, um mit meinem zukünftigen Mann und seiner zwölfköpfigen Familie das Flugzeug zu kriegen. Ich sehe sofort, dass der Dachgepäckträger schon angebracht ist auf dem Auto meiner Mutter. Meine Brüder fangen an, mich zu überreden, doch bitte ganz kurz das Kleid anzuziehen. Sie wollen es unbedingt mal an mir sehen. Ich sollte Nein sagen und hart bleiben. Ich kann aber nicht, ich will es auch so gern präsentieren. Ich will nicht so altmodisch abergläubisch sein, weil eigentlich darf doch niemand das Kleid sehen vor der Hochzeit. Ich schaffe es nicht, hart zu bleiben. Also schleppen meine Mutter, der Taxifahrer und ich den Kleidersack auf die Wiese hinterm Haus. Es ist sehr warm, und ich ziehe mich bis auf die Unterwäsche aus. Eigentlich ist mir das sehr peinlich vor dem Taxifahrer. Aber ich will nicht spießig sein und ihn bitten, sich umzudrehen. Er macht es zum Glück von selbst. Meine Brüder lachen, gucken aber die ganze Zeit zu. Meine Mutter hilft mir, erst in den schweren Rock zu klettern, und macht mir den Hakenverschluss hinten zu. Danach zieht sie mir die Satinkorsage über, die den breiten Bund des Rockteils verdeckt, sodass es aussieht wie ein Kleid aus einem Guss. Aus Spaß zieht meine Mutter noch den Schleier aus dem Kleidersack und legt ihn mir schief und falsch rum auf den Kopf, mit dem langen Teil übers Gesicht. Da steht nun die Braut in voller Montur. Alle freuen sich, machen Komplimente, der Taxifahrer guckt wieder, wir klatschen in die Hände. Und ich schlüpfe wieder raus aus dem schweren Ding. Das Gewicht zieht einen ganz schön runter an der Taille. Ich muss es ja zum Glück nicht lange anziehen, zum Tanzen am späten Abend habe ich noch was leichtes Kurzes gekauft.
Als ich
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