Schossgebete
brauchen, kaufe ich in unserem Viertel. Neue chice Reisetaschen, die zum ersten Mal in unserem Leben alle zusammenpassen. Ich komme mir damit sehr erwachsen vor. Die Schminke: hellgrüner Lidschatten, pinkfarbener Lippenstift, pinkfarbenes Rouge.
Auch die ganzen Aberglaubenreliquien für die Hochzeit kann ich im Viertel erwerben. Im Englischen sagt man: Something old, something new, something borrowed, something blue, and a silver sixpence in her shoe . Das Alte: Im antiken Schmuckgeschäft kaufe ich einen minikleinen gold-silbernen Anhänger, eine silberne Eichelnuss mit goldener Haube an einer langen, zierlichen Kette, will ich unter dem Hochzeitskleid tragen, soll im Dekolleté versteckt sein, damit es niemand sieht, passt nämlich nicht zum Rest. Das Neue: ist der Schleier, den habe ich im Gegensatz zum Kleid neu gekauft. Und das Geliehene bekomme ich von meiner Mutter: eine Kette komplett aus Elfenbein, breit, mit fünf Strängen aus Elfenbeinperlen, eng am Hals anliegend, wie bei einer Prostituierten im Wilden Westen, ein Würger am Hals, mit einer großen geschnitzten Rose an der Gurgel, die aussieht wie ein wide open beaver . Das Blaue: ein klassisches Strumpfband. Dieses komische Sixpenceding habe ich den Verwandten aufgetragen, die sollen das besorgen, wehe, die vergessen das! Das stecke ich dann, wenn es sein muss, für die Trauung, aber nicht für das Tanzen nachher, in den Schuh. Ich stelle mir vor, dass ein Sixpence eine alte englische Münze ist, ich flippe schon aus, wenn Sandkörner im Schuh sind, das halte ich bestimmt nicht lange aus.
Schöne Brautwäsche noch, alles in Creme. Und in jedem Geschäft erzähle ich natürlich, wofür die Sachen sind. Die Verkäufer und Verkäuferinnen freuen sich so mit uns, wünschen viel Glück. Wohl eher für die Ehe braucht man Glück als für die Hochzeit. Die Ehe dauert doch viel länger, soll doch jahrelang halten, der Hochzeitstag ist doch nur der eine Tag.
Am Abreisetag fahre ich mit dem Taxi vor dem Schneidergeschäft vor, erkläre dem Fahrer, dass er warten solle, ich würde danach mit ihm und dem Hochzeitskleid weiter in die Nachbarstadt fahren, zu meiner Mutter. Weil das Kleid so riesig geworden ist, kann ich es unmöglich in einen Koffer stopfen für den Flug. Also soll meine Mutter das Kleid im Auto transportieren. Sie beschließt, extra für das Kleid ihre Flüge wieder abzusagen, und will mit meinen drei Brüdern Harry, Lukas, Paul und Rhea, der Freundin meines ältesten Bruders, der aber trotzdem ein Jahr jünger ist als ich, mit dem Auto fahren.
Ich war zuerst da! Das ist mir sehr wichtig. Der Älteste von den Brüdern wurde direkt nach mir geboren. Mir ist das bis heute noch ein Rätsel, wie meine Mutter das geschafft hat, direkt nach einem Kind, nämlich mir, sofort wieder fruchtbar und empfängnisbereit zu sein. Ich habe mich sein Leben lang mit ihm geprügelt und jeden Tag gehofft, dass er stirbt. Das hat mir immer ein schlechtes Gewissen gemacht, weil einem ja eigentlich beigebracht wird, dass man seine Geschwister lieb haben muss. Er war aber so nah an mich gebaut, dass ich ihn ständig als Konkurrenten sah, keine Ahnung, in was. Futter? Leistung? Liebe der Eltern? Alles zusammen wahrscheinlich.
Bis ich wissenschaftliche Texte über Geschwisterhass fand, in denen beschrieben wird, dass viele Geschwister, die direkt nacheinander geboren werden, so leben. Weil das Erstgeborene, in diesem Fall ich, nicht einsieht, warum man jetzt auf einmal die Eltern teilen soll mit jemandem, der überflüssigerweise dazugekommen ist. Erst als wir alte Teenager waren, hörte das auf. Nach unser beider Pubertät war der Hass wie verflogen, wir waren ein Herz und eine Seele. Aber bis dahin hatte ich ihm schon achttausendmal den Tod an den Hals gewünscht, weil ich Einzelkind sein wollte, bei meinen Eltern.
Ein Dachgepäckträger, mit dem man eigentlich eine Skiausrüstung transportiert, wird extra für das Kleid angeschafft. Damit es locker darin liegen kann. Wie Schneewittchen im Glassarg. Mein geliebtes Kleid im Plastikskibehälter.
Der Taxifahrer wartet draußen, hat seinen Wagen auf dem Bürgersteig direkt vor dem Schaufenster geparkt und raucht in der Sonne an den Stern gelehnt eine Zigarette. Ich dachte noch, als ich ihn so da stehen sah: nicht, dass der den Stern abbricht. Das bringt bestimmt Unglück. Ihm jetzt. Nicht mir. Ich bin ja nicht abergläubisch. Ich rede noch ein bisschen mit der Schneiderin. Sie wünscht viel Glück. Wieder denke ich:
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