Schossgebete
meine Hose und meine Bluse wieder anhabe, hieven wir das Kleid in den Dachgepäckträger und schließen ihn ab.
»Wann fahrt ihr denn los?«
»In ein paar Minuten.«
»Okay, bis gleich in England, ihr Spackos, alle«, sage ich lachend und füge noch mein obligatorisches »Wer zuerst da ist« hinzu. Das sage ich immer, seit ich denken kann, wenn Leute das gleiche Ziel wie ich haben, aber andere Wege oder Transportmittel wählen.
Schnell mit dem Taxifahrer die ganze Strecke zurück. Vor der Hochzeit bin ich ziemlich angespannt, ich denke die ganze Zeit: Ich habe was Wichtiges vergessen. Hab ich aber nicht. Gehe ständig im Kopf alle Sachen durch, die in meinem Verantwortungsbereich liegen, und habe tatsächlich alles erledigt. Wochenlange Arbeit, so eine Hochzeit, wenn man alles selber macht und plant und sich ausdenkt.
Als ich zu Hause ankomme, rede ich mit meinem Zukünftigen nur so Sachen wie:
»Hast du dies eingepackt?«
»Ja.«
»Hast du das eingepackt?«
»Jaha.«
Er hat offensichtlich auch an alles gedacht. Vor der Hochzeit sind wir nicht besonders verliebt, ist bestimmt normal, weil wir an so viel denken müssen. Man will ja auch nicht unbedingt heiraten, man will ja eher schon verheiratet sein. Wer hat schon lockeren Spaß auf seiner eigenen Hochzeit? Ich kenne keinen. Erst wenn alles erledigt ist, kein Programmpunkt mehr in die Hose gehen kann, man saufen kann, dann wird’s lustig. Hoffentlich!
Wir treffen alle Verwandten meines Freundes am Flughafen. Das ist auch eher nervenaufreibend. Eine große Reisegruppe zu koordinieren. Die Kinder, irgendwelche Neffen und Nichten meines Zukünftigen, schreien beim Check-in. Ich schalte kurz vorm Flugzeug mein Handy aus. Bin ein braver Flieger, halte mich an alle Regeln, immer. Und die Kinder schreien auf dem Flug noch schlimmer. Ich tue einfach so, als würde ich sie nicht kennen, sie sitzen in den Reihen vor mir, dann geht das gut. Mache Atemübungen, um nicht vor Aufregung durchzudrehen. Ich lächele meistens ein gespielt lockeres Lächeln, wenn mein Freund mich anguckt, meine Hand nimmt. Freue mich schon, wenn wir unsere Ruhe haben im Hotelzimmer. Wenn wir endlich ankommen.
Kurzer Flug nach London. Fünfzig Minuten oder so. Am Nachmittag. Wir landen, steigen aus. Wir haben einen richtigen großen Reisebus gebucht, mit Fahrer, der soll uns mit so einem lustigen Namensschild abholen am Ausgang. Noch nie hat mich jemand mit einem Schild abgeholt. Wir haben einen großen Kredit bei der Bank aufgenommen für die Hochzeit. Dann müssen wir an nichts sparen. Werde sehr erleichtert sein, wenn das mit dem Bus auch klappt. Wenn der wirklich da steht und wir einen Fahrer haben.
Wir holen unser Gepäck ab, und als wir am Zoll vorbeigehen, schalte ich mein Telefon wieder ein. Es klingelt sofort in der gleichen Sekunde, in der ich es anmache. Ich sehe, dass mein Vater anruft. Ich gehe ran.
»Hallo, Papa. Wir sind grad gelandet.«
Diese Geschichte von früher und das, was noch folgen sollte dort am Telefon mit meinem Vater, hat mein ganzes Leben ruiniert. Das spielt, auch heute, acht Jahre später, dort auf der Couch sitzend, mit meinem heutigen Mann, eine immense Rolle. Mein Mann hat einen Scherbenhaufen geheiratet.
Zurück zum Wurmproblem.
Ich rufe meinen Exmann, Exfreund, egal, wie man es nennen will, im Arm meines Mannes liegend, an.
»Hallo.«
»Stör ich dich bei etwas?« Das frage ich jeden, den ich anrufe, als Erstes. Es ist viel zu höflich und entschuldigend, deswegen gefällt es mir so. Diese gespielte Bescheidenheit. Das Devote.
»Nein.«
»Um mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Liza und ich haben Würmer. Fadenwürmer, um genau zu sein. Ich muss morgen mit ihr zum Kinderarzt. Dann kann sie nicht in die Schule morgens. Ist dir bei dir was aufgefallen?« Super Frage.
»Oh, jetzt, wo du das sagst. Ich dachte aber, es wäre was anderes.«
Bitte keine Details! Aber hier kommen sie:
»Ich hatte doch diese schmerzhafte andere Sache vor Kurzem. Und jetzt habe ich bei dem Jucken einfach gedacht, das kommt wieder, auch wenn es sich ganz anders anfühlt als letztens.«
Alles klar. Mittendrin im Thema. Immerhin waren wir mal jahrelang zusammen. Auch wenn ich mir das heute gar nicht mehr vorstellen kann. Ich finde es schrecklich, wenn man Kinder zusammen hat und sich trennt. Und anstatt dem ersten Impuls nachzugeben, sich nie wiedersehen zu müssen, weil man ja mal Sex hatte zusammen, muss man sich für immer einigermaßen gut verstehen, für das
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