Schossgebete
natürlich keine Seele gibt!)
»Mama, muss ich wirklich nicht in die Schule heute?«
»Man darf nicht mit Würmern in die Schule.«
»Jey. Cool.«
Und schon sitzen wir im Auto auf dem Weg zum Kinderarzt.
Wir fahren einfach ohne Termin hin, das ist das Beste, einfach ins Wartezimmer, bis unsere Chance gekommen ist. Wenn jemand mit Termin zu spät kommt, sind wir schon dran.
Er will uns zum Glück nicht untersuchen, er glaubt der guten Mutter, also mir, und dem tollen Tesatest, wir bekommen eine Kinderration und drei Erwachsenenrationen für die ganze blöde Patchworkfamilie. Der Arzt erklärt uns, dass nach der Einnahme der ersten Tablette eigentlich schon nichts mehr juckt und die zweite abends nur zur Sicherheit genommen werden sollte, nur um wirklich den letzten Rest der Würmer plattzumachen. Er meint, das Kind solle nur heute nicht in die Schule wegen eventueller Ansteckungsgefahr. Vom Arzt aus telefoniere ich mit meinem Exmann und kündige an, dass ich Medizin für ihn habe, gegen das Jucken, und dränge ihm auf, das Kind schon am Morgen zu nehmen, damit ich mit meinem neuen Mann schon morgens kinderfrei habe. Er stimmt zu, und ich bekomme schlagartig bessere Laune. Würmer gleich weg und Kind gleich weg, toll.
Als wir aus der Kinderarztpraxis mit vier erbeuteten Rezepten gegen diese miesen Parasiten rausgehen, erzähle ich ihm am Telefon alles, was der Arzt über die Wirkung des Mittels gesagt hat. Das bestialische Jucken höre direkt nach Einnahme der ersten Tablette auf. Worüber man so reden muss mit seinem Expartner, nur weil man ein Kind zusammen hat. Und was für Bilder man dann im Kopf hat dabei. Ich weiß ja, wie sein Poloch aussieht, auch wenn ich es gar nicht mehr wissen will. Und ich weiß jetzt leider auch, wie das aussieht, wenn weiße Würmer da raushängen. Leider habe ich genug Phantasie, um diese beiden Eindrücke gegen meinen Willen übereinanderzulegen zu einem stimmigen Bild. Das macht mich wirklich aggressiv gegen meinen Exfreund. Dass ich weiß, wie er nackt aussieht. Dass er weiß, wie ich nackt aussehe. Dass er weiß, wie ich stöhne, wenn ich komme. Ich würde gerne seine Erinnerung löschen. Dann könnte ich besser mit ihm umgehen.
Auch ist es schwer, das schlechte Gewissen abzuschütteln, dass ich ihn verlassen habe. Ich habe ihm seine Familie zerstört. Er wollte ja mit mir und unserer Tochter eine Familie haben. Und ich habe gesagt: »Nein, ich jetzt doch nicht mehr.« Er muss einfach mit meiner Entscheidung leben. Und das sorgt regelmäßig für Aggressionsausbrüche, die wir aber möglichst nicht vor unserem Kind austragen. Er ist in Therapie, ich bin in Therapie, und ein wichtiger Grund für uns beide, das zu tun, ist, für unser Kind mit unserer Trennung so gut wie möglich umzugehen.
Therapeutisch gesprochen, darf man gehen, wenn man sich neu verliebt oder die Liebe weggegangen ist. Aber moralisch, und vor allem aus Sicht des Kindes und des Verlassenen, ist das niemals ganz in Ordnung. Ich hatte zeitweilig ein so schlechtes Gewissen, dass ich ihm als Ersatz für mich Geld überweisen wollte, ich dachte, er soll es wenigstens finanziell gut haben, wenn ich schon weg bin. Den geistesgestörten Gedanken hat mir meine Therapeutin in jahrelanger mühevoller Kleinarbeit ausgetrieben. Klar, denkt mein Exfreund, wenn die wegwill, muss ich sie gehen lassen, aber er wird dadurch fremdbestimmt und muss damit umgehen, dass ich damit auch das Leben unseres Kindes völlig durcheinanderbringe. Jeder hat die romantische Vorstellung, Papa und Mama bleiben für immer zusammen. Vor allem Kinder haben das, aber auch verlassene Erwachsene! Ich als Scheidungskind habe das auch. Die erste Regel, wenn man ein Kind kriegt, lautet: Bleibt auch gefälligst für immer zusammen. Und gerade ich, als kaputtes Scheidungskind, habe selber gegen diese Regel verstoßen, sogar direkt in dem Moment, wo Liza geboren wurde, weil ich praktisch da schon weg von ihrem Vater war.
Ich rede mir immer ein, dass das auch das Einzige ist, was es etwas weniger schlimm macht für das Kind. Es kann sich nicht mehr bewusst daran erinnern, wie es war, als seine Eltern zusammen waren. Ich als Kind habe es fünf Jahre erleben dürfen, wie es ist, eine heile Familie zu haben. Also, na ja, von heil kann in einem erwachsenen Sinne gar nicht die Rede sein, aber so genau haben wir das als Kinder nicht mitbekommen. Kein Streit oder Leid für uns. Nur die Trennung war für uns das Leid. Da fing es an, bergab zu gehen. Da fing
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