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Schossgebete

Schossgebete

Titel: Schossgebete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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heimkommt. Mit Make-up-Entferner und einem Wattestäbchen wische ich die Sexschmiererei unter meinen Augen weg. Und falte zwei Blatt Klopapier in die Unterhose, bevor ich sie hochziehe. Bloß nicht mehr, das bringe ich auch meinem Kind für Toilettengänge bei, für die Umwelt.
    Ich schleiche mich noch mal so leise, wie es geht, in den begehbaren Schrank neben unserem Schlafzimmer, krame gemütliche Kleidung heraus für den Abend. Ich muss gleich, vor dem Abendessen mit der Familie, noch kurz zu meiner Therapeutin Frau Drescher. Da darf ich hin, egal, wie ich angezogen bin. Das ist ja das Schöne. Egal, wie ich aussehe, egal, wie ich rieche, ich kann immer dahin, egal, in welchem Zustand. Sagen das nicht die Spinner über ihren Gott, normalerweise? Aber die sind sich nicht ganz sicher und waschen sich doch lieber für ihn, falls er doch nicht so lieb ist, wie sie ihn erfinden.
    Frau Drescher wünscht sich sogar, dass ich auch mal bei ihr zur Toilette gehe, groß, das traue ich mich aber noch nicht. Wir arbeiten dran!
    Und dann laufe ich nach oben in die Küche. Auf dem Weg dahin schließe ich wieder alle Türen, damit ich gleich mit meiner Tochter Lärm machen kann, ohne Georg zu wecken. Ich weiß, dass mein Mann mindestens eine Stunde schläft. Ich rede mir ein, dass ich ihn so geschafft habe. Dann kann ich ihn besser schlafen lassen, weil ich stolz bin. In dieser Stunde koche ich was Gesundes. Und durch tiefes Atmen schaffe ich, dass diese roten Durchblutungsflecken am Hals weggehen, die soll mein Kind nicht sehen. Kinder wollen nicht, dass Erwachsene Sex haben. Von unserem Brettchenstapel ziehe ich das mit der Brenngravur Knoblauch und Zwiebeln raus und von dem magnetischen Messerhalter das Mühlenmesser mit der Eddingschrift Knoblauch . Seit ich nicht mehr rauche, habe ich so gute Geruchs- und Geschmacksknospen, dass ich bei Obst rausschmecken kann, was vorher mit dem Messer geschnitten wurde, und davon, wenn es Zwiebeln oder Knoblauch waren, fast kotzen muss. Wenn Sachen, die eigentlich süß schmecken sollten, herzhaft schmecken, könnte ich durchdrehen. Ist auch erst so, seit ich älter geworden bin, früher war ich lockerer. Viel lockerer!
    Unter der Spüle in der Holzkiste wohnen die Zwiebeln. Das hat meine Oma immer gesagt: »Now, where do the onions live?« Meine Exschwiegermutter hat mir einen guten Trick beigebracht, wie man am besten ganz fein Zwiebeln schneidet. Zum Braten in der Pfanne, als Basis von fast jedem Gericht, das ich koche, sollen sie so fein gewürfelt sein, dass sie sich beim Braten fast auflösen. Ich schäle die Zwiebel, schneide Kopf und Po ab und strecke dann die Zunge raus, nur die Spitze, das reicht, weil sich die Säure, die von der Zwiebel aufsteigt, die nächste feuchte Stelle sucht. Das wäre bei geschlossenem Mund das Auge und fühlt sich unangenehm an. Ich weine sehr ungern. Gar nicht erst anfangen, sonst hör ich nie wieder auf. Aber so fängt die Zunge vor dem Auge die ganze Säure ab. Das Auge brennt nicht, und ich muss gar nicht erst anfangen zu weinen. Ich drehe die Zwiebel mit dem abgeschnittenen Kopf zu mir, schneide waagerecht und senkrecht ganz oft eng nebeneinander tief ein und schneide dann von der Seite die kleinen Würfel ab. Die schmeiße ich in die Pfanne mit dem Bioolivenöl und dünste sie, bis sie glasig werden. Aus dem Kühlschrank nehme ich den Wirsingkopf, das schönste Gemüse überhaupt. Mit einem großen, sehr scharfen Messer schneide ich den Wirsing in der Mitte durch und gucke mir die Schnittfläche genau an. Er wird von außen nach innen immer hellgrüner. Ich setze zwei Keilschnitte an, um den harten Strunk zu entfernen, werfe ihn in die Biotonne unter der Spüle und schneide den ganzen Wirsing in dünne Streifen. Am Anfang denke ich jedes Mal, es ist zu viel, wenn es aber dann in der Pfanne dünstet, reduziert sich das Volumen. Ich werfe eine Handvoll von meiner besonderen Zutat dazu: Biogemüsebrühe ohne Hefeextrakt. Das war sehr schwierig zu finden. Auch im Bioladen gibt es nur Brühe mit Hefeextrakt, und das ist das moderne Greenwashing-Wort für Glutamat . Ich, als gute Mutter, kann Glutamat in unserer Küche nicht dulden.
    Ich habe mehrmals ein Experiment gemacht, als es noch Fleisch bei uns gab, das war vor der Jonathan-Safran-Foer-Ära: Ich habe echte Hühnerbrühe aus ganzem Huhn und Knochen gemacht. Kam mittelmäßig an in der Familie. Am nächsten Tag habe ich eine Biotütenhühnersuppe aus dem Bioladen serviert, und alle waren

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