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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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ein kleines Mädchen beim Frühstück auf seinem Schoß sitzen, seine Haare zausen und dann liebevoll die Ärmchen um seinen Hals legen würde. Ryan schüttelte den Kopf und ging weiter. Genau wie mit den Freunden war es mit den Frauen. Jene, die zu seinen Kreisen in Aberdeen gehörten und die er kannte, mochte er nicht. Sie waren meist arrogant und dumm, rechthaberisch und verschwenderisch. Jene dagegen, die er bei den wenigen gesellschaftlichen oder sportlichen Anlässen, die er besuchte, kennen lernte und die ihm gefielen, zogen alle die gleiche Show ab: Bei den ersten beiden Treffen waren sie nett und liebenswürdig, aber spätestens bei der dritten Verabredung übernahmen sie die Initiative, und dann kamen die Fragen: »Wie leben Sie?« »Was machen Sie?« »Was haben Sie?«
    Spätestens zu dem Zeitpunkt brach er den Kontakt ab. Wo also sollte er die Frau treffen, die nichts von seinen Millionen wusste? Der es gleich war, ob er Fischer oder Fabrikant, Schäfer oder Laird war? Elf Monate im Jahr gehörte sein Leben dem Unternehmen. Aber in den Augustwochen musste er sich davon erholen, hier in der Einsamkeit, inkognito und unerreichbar für alle. Hier ergaben sich erst recht keine Frauenbekanntschaften, und gerade hier wollte er sie auch nicht.
    Ryan schlenderte hinüber zu seinem Haus. Hinter seinem Rücken kroch die Morgenröte über die Hügelkuppe und tauchte den glänzenden grauen Granit des Hauses in schimmerndes Perlmutt. Beglückt blieb er stehen und sah zu, wie die sanften Farben silbrig wurden, als sich die ersten Sonnenstrahlen in den Butzenscheiben spiegelten. Hierhin gehörte er, das würde er nie aufgeben. Heute Abend würde er den Männern im Pub sagen, wer er war, und dann konnte er nur hoffen, dass sie die Wahrheit akzeptierten und seine Freunde blieben.
    Er ging ins Haus und machte sich sein Frühstück: Porridge mit Rübensirup, so süß, wie er ihn mochte. Außerdem Speck, Eier und Würstchen, wie es sich für einen Arbeiter gehörte. Dazu gab es heißen Tee und im Backofen geröstetes Brot. Während er am Tisch saß und den Blick in die zur Küche hin offene Wohnhalle gleiten ließ, überzog ein wohliges Gefühl seinen ganzen Körper. Die höher steigende Sonne tauchte den Raum langsam in jenen rotbraunen Farbton, der diese Halle so warm und gemütlich machte. Am liebsten wäre Ryan noch stundenlang so sitzen geblieben, doch er gab sich einen Ruck und stand auf.
    Ryan suchte sein Handwerkszeug zusammen und ging hinüber zum Schuppen. Er zog den Landrover heraus und den alten Pferdehänger, mit dem er früher seine Pferde zu Turnieren gebracht hatte und mit dem er jetzt ab und zu Zuchtschafe zum Markt transportierte, und machte sich an die Arbeit. Er sägte, hämmerte, schraubte und hobelte, bis die Sonne hoch am Himmel stand und anzeigte, dass es Zeit zum Mittagessen wurde.
    Linda, die älteste Tochter des Schmieds in Dyke, eine hagere Frau mit blassem Gesicht, hatte frische Lebensmittel und eine Terrine mit Irishstew mitgebracht, und das ganze Haus roch köstlich nach dem Essen. Sie war eine stille, eher hässliche Frau, denn anstelle der Schneidezähne saß eine schlecht gemachte Zahnprothese, die viel zu weit nach vorn gerückt war. Aus diesem Grund vermied sie es zu reden und zu lachen und arbeitete meist stumm vor sich hin. Aber sie war zuverlässig und umsichtig, sah, was im Kühlschrank fehlte und wo gründliche Reinigung nötig war. Ab und zu versuchte sie auch, eine Art Garten vor dem Haus anzulegen, aber Heide und Unkraut waren stärker als sie, und so gab sie jedes Jahr nach den ersten Versuchen wieder auf. Als sie ihr Rad holte, um nach Hause zu fahren, gab Ryan ihr eine geräucherte Lachshälfte mit, die sie mit strahlendem Lächeln und ohne Rücksicht auf ihre Prothese entgegennahm. Ryan lächelte zurück und beschloss insgeheim, beim Schmied eine so große Arbeit in Auftrag zu geben, dass dieser mit einem Teil des Verdienstes eine neue Prothese beim Zahnarzt anfertigen lassen konnte. Ryan musste sehr vorsichtig sein, wenn er den Leuten finanziell helfen wollte. Sie waren stolz, und sie hielten ihn für arm, da musste so eine Hilfe gut geplant werden.
    Als Linda fort war, setzte er sich auf die Bank vor dem Haus, zündete seine Pfeife an und sah den Bienen zu, die sich in den ersten blühenden Heidebüscheln tummelten und die zartvioletten Blüten der Disteln umschwirrten. Bis zu einem halben Meter hoch wuchs dieses silbergrüne, filigrane Unkraut, das die Schotten zu ihrer

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