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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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ganze Stunde länger schlafen.«
    Andrea nickte. Warum eigentlich nicht. Ihr graute vor der Fahrerei mit Bahn und Bus, und Peter bot ihr die Fahrt an.
    »Danke, ich nehme dein Angebot an.« Sie gab ihm einen Kuss auf die Wange und stieg aus, bevor er ihr die Tür öffnen konnte.
    »Bleib sitzen und fahr schnell nach Hause, du brauchst die paar Stunden Schlaf auch.« Sie winkte und schloss die Haustür auf. Als Peter sah, dass sie in den Lift stieg, fuhr er davon.
    Sie hatten sich bei einer Vernissage in der Milchstraße kennen gelernt. Andrea fotografierte die Bilder und Skulpturen, und Peter half dem Gastgeber, Freunde und Fremde durch die Ausstellung zu führen. Nachdem die letzten Besucher gegangen waren und der Partyservice das Feld geräumt hatte, waren sie zusammen mit dem Galeristen, den Künstlern und einigen Freunden nach nebenan in »Jeremias Biergarten« gegangen, um Manöverkritik zu üben und die verkauften Kunstwerke zu feiern. Alles in allem war man zufrieden. Wer zu einer Vernissage in die Milchstraße kam, litt nicht unter der augenblicklichen Wirtschaftskrise oder unter Arbeitslosigkeit. Und so endete der Abend in beinahe ausgelassener Stimmung.
    Andrea fühlte sich wohl in der kleinen Runde. Obwohl sie nicht zur Hamburger Highsociety gehörte, wurde sie akzeptiert. Heimlich beobachtete sie Peter Erasmus, einen stillen, fast schüchternen Mann, den eine lange Freundschaft mit dem Gastgeber zu verbinden schien. Als sie sich endlich verabschiedete, war es spät geworden. Auch Peter Erasmus erhob sich. »Ich würde Sie gern nach Hause bringen, mein Wagen steht gleich nebenan.«
    Es war das erste Mal, dass er sie direkt ansprach. Seine Stimme war ungewöhnlich leise und zurückhaltend.
    »Danke, aber ich bin selbst motorisiert.« Sie schüttelte lächelnd den Kopf und verabschiedete sich.
    »Dann darf ich Sie zu Ihrem Auto bringen?«
    Sie nickte, und er trug ihre Fototaschen zum Wagen.
    Das war vor einem Jahr gewesen, und aus dieser kurzen Begegnung war eine aufrichtige Freundschaft geworden, in der es Andrea aber niemals gelungen war, die Zurückhaltung dieses Mannes zu durchstoßen. Bei aller Sympathie für ihn schaffte sie es nicht, ihn wirklich kennen zu lernen. Und eigentlich wollte sie es auch gar nicht. Außer Freundschaft empfand sie nichts für ihn, und so sollte es bleiben.
    Peter, der langsam zurück zu seinem Haus in Harvestehude fuhr, dachte an Andrea. Müde hatte sie ausgesehen und noch sehr angespannt. Schade, dass sie sich so selten helfen ließ. Er mochte diese Frau, die so offen und fröhlich war, die das Leben nahm, wie es sich gab, und Probleme mit Optimismus bewältigte. Er freute sich mit ihr, wenn es ihr gut ging, und er litt mit ihr, wenn sie deprimiert war, was zum Glück selten vorkam. Er hätte ihr gern seine Zuneigung gezeigt, aber er wusste nicht, wie. Er war ein Phlegmatiker, das betraf sein ganzes Leben, nicht nur sein Verhalten Frauen gegenüber. Seine gut gehende Exportfirma wurde von Experten geführt, sein Haushalt von Anne, seiner früheren Gouvernante. Seine wenigen Freundschaften basierten auf Vertrauen und Zuverlässigkeit, nicht auf Kameradschaft und Zuneigung. Manche nannten ihn einen »typischen Hamburger«, steif und unnahbar, aber das war er nicht. Obwohl seine Familie seit Generationen in Hamburg lebte, stammten seine Vorfahren ursprünglich aus Ostpreußen, und diesem Menschenschlag sagte man Schwermut und Verschlossenheit nach. Daran musste es liegen, und daran konnte er überhaupt nichts ändern.

III
    Der erste Weg am Morgen führte Ryan zu den Schafen. Die Collies, ausgeruht und den Magen voller Hundekuchen, tobten vor ihm her, sprangen über das Pferchgatter und scheuchten die Schafe auf. Ryan öffnete das Tor, und die Herde drängte heraus, verteilte sich, wurde von den Hunden wieder zusammengetrieben und folgte schließlich dem Mann, der durch das Heidekraut zu einem Hang lief, den die Herde heute abgrasen sollte. Sinn dieser vierwöchigen Weidezeit hier oben an der Küste war es, die Heide rund um seinen Feriensitz kurz zu halten und die Wiesen abzuweiden. Dann wurden die zweihundert Tiere wieder zurück zur restlichen Herde in die Nähe von Forfar transportiert, wo Ryan die eigentliche Schafzucht betrieb, Spinnereien unterhielt und den berühmten McGregor-Tweed in eigener Fabrikation herstellen ließ.
    Während er den Hunden bei ihrer Arbeit zusah, grübelte Ryan erneut über sein Problem mit dem Trödelmarkt nach.
    Er konnte diesen Männern nicht

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