Schottische Disteln
und vom Parkplatz bis zum Turnierplatz war noch ein weiter Fußweg zurückzulegen.
»Komm, Peter, wir müssen uns beeilen.«
»Bin schon unterwegs.«
Andrea nahm ihre Fototaschen, Peter die Decke und den Picknickkorb, und dann ging es quer über den Acker hinüber zum Abreiteplatz mit den verschiedenen Start- und Zielabsperrungen. Lautsprecherdurchsagen, Marschmusik, Pferdewiehern und Menschenmassen, die sich durch das Gelände schoben, bestimmten die Atmosphäre.
Als Andrea während der Heimfahrt an die vergangenen Stunden zurückdachte, sah sie immer nur drängelnde Menschen hinter Absperrungen, schimpfende, lachende, schwitzende Leute mit Fotoapparaten, Ferngläsern und Videokameras, weinende Kinder, denen das Gewühl zu groß war, und nervöse Hunde, die an den Leinen zerrten, pausenlos bellten und versuchten, hinter den galoppierenden Pferden herzurennen, was strengstens verboten war.
Irgendwie hatte Andrea ihre Fotos gemacht, meist mithilfe von Peters Ellenbogen, irgendwann hatten sie Annes Picknickkorb geleert, und auf Umwegen waren sie auch wieder beim Auto und später auf der Autobahn gelandet: müde, verstaubt und sonnenverbrannt.
»Hoffentlich sind die Fotos gelungen.«
»Natürlich, Andrea, du bist doch ein Profi.«
»Was nützt das, wenn man im entscheidenden Augenblick einen Stoß in den Rücken bekommt oder wenn ein Kind durch das Bild rennt, gerade, wenn man abdrücken muss.«
»Du hast mit dem Dauerauslöser Serien fotografiert, irgendwann war das Kind auch wieder weg.«
»Hoffentlich.«
Andrea kuschelte sich in den bequemen Autositz. »Gott sei Dank hat es bei dieser Military keine Unfälle gegeben. Die Vielseitigkeitsreiterei hat sowieso einen schlechten Ruf, weil es schon zu Todesfällen von Menschen und Pferden gekommen ist.«
»Aber die Pferde werden jahrelang darauf vorbereitet. Und sie können das, du hast es ja gesehen.«
»Ich habe aber auch Pferde mit zitternden Flanken am Rande der Erschöpfung gesehen und solche, denen das Blut auf den letzten Metern aus den Nüstern geflossen ist.«
»Die Tierschützer waren auch heute wieder mit ihren Plakaten dabei.«
»Ich finde, sie haben Recht, Peter. Es ist leider eine Schinderei. Ich weiß nicht, ob ich mir das noch einmal ansehen möchte. Ich glaube, in Zukunft kann ich auf solche Aufträge verzichten.«
»Du bist jetzt müde und kaputt, Andrea. Die Reiter sehen das anders.«
»Natürlich, für sie geht es um Ruhm und Geld und Prestige.«
»Aber so ist es überall, Andrea. In jeder Sportart, in der Forschung, in der Medizin, in der Wirtschaft, in der Kunst, einfach überall: Ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen und Warnungen geht es doch fast nur noch um Geld, Ehre, Anerkennung und Preise.«
»Du hast Recht, und was uns bleibt, ist ein schlechtes Gefühl.«
»Das ist auch gut so. Wenn man noch ein Gewissen hat und zwischen Recht und Unrecht unterscheiden kann, braucht man nicht zu resignieren.«
»Nur ändern kann man nichts.«
Sie fuhren über die Elbbrücken, weiter zur Außenalster und dann nach Winterhude. Andrea war froh, dass sie auf so bequeme Weise nach Hause kam. Diesmal bat sie Peter, mit hinaufzukommen. »Du kannst deinen Wagen auf meinen Platz in der Garage stellen, er ist ja frei.«
»Wunderbar.«
Ein paar Minuten später waren sie in der kleinen Wohnung. »Ich hole dir Handtücher, dann kannst du dich im Bad frisch machen. Nimm dir inzwischen etwas zu trinken, im Kühlschrank steht Prosecco, ich glaube, der tut uns jetzt beiden gut.«
Peter kannte die kleine Wohnung in Winterhude gut. Ein Wohnzimmer mit Arbeitsecke, ein kleineres Schlafzimmer mit Balkon zum Stadtpark, das Bad, die Küche und ein geräumiger Flur, mehr brauchte und mehr wollte Andrea nicht, wie sie immer wieder behauptete. Irgendwo hat sie ja Recht, dachte er und sah im Geiste sein großes, kaum genutztes Haus vor sich, von dem er auch nur zwei Zimmer wirklich bräuchte und in dem die alte Anne viel zu viel zu tun hatte.
»Wollen wir zusammen essen gehen?«
»Jetzt noch, Peter? Es war so ein langer Tag, und ich bin hundemüde.«
»Gerade deshalb, Andrea. Du kommst auf andere Gedanken, und eine warme Mahlzeit bewirkt Wunder, du wirst sehen. Komm, sei kein Spielverderber.«
»Na gut. Du hast den ganzen Tag mit mir durchgehalten, gehen wir. Aber nicht zu weit und nicht zu elegant, dazu hin ich heute nicht mehr in Stimmung.«
»Ich rufe bei Sellmer in Eppendorf an und bestelle einen Tisch, das ist nur wenige Minuten von hier,
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