Schottische Disteln
Vergrößerungen gemacht, damit man das Wunder auch würdigen kann.«
»Zeigen Sie her, Holger, bitte.«
»Langsam, langsam. Also, die Hochzeit und die Taufe, die haben sie gut hinbekommen, das sind Fotos, die ich von Ihnen gewöhnt bin. Aber was Sie mit den Pferden gemacht haben, das ist einfach sensationell.«
Und dann hatte er ihr die Fotos hingehalten, und sie waren wunderbar. Da sah man jeden Wassertropfen glitzernd in die Höhe spritzen, als die Pferde in den Teich sprangen. Man sah die vor Anstrengung geblähten Nüstern und Schaumflocken, die beim Sprung über ein Hindernis davonflogen. Da hörte man förmlich das Donnern der Hufe auf der Rennbahnstrecke und konnte in den weit aufgerissenen Augen der Reiter ihre Konzentration ablesen.
Andrea umarmte den Mann und küsste ihn auf beide Wangen. »Sie haben Kunstwerke geschaffen, Holger.«
»Nicht so stürmisch, meine Liebe. Das Kunstwerk haben Sie geschaffen, ich habe es nur sichtbar gemacht. Ich gratuliere.«
Andrea lief in das Büro zu Jens und Inken. »Was sagt ihr dazu?«
Einen Augenblick sahen die beiden wortlos die Bilder an. »Großartig, Andrea, es sind die besten Fotos, die du bis jetzt gemacht hast. Niemand hätte das besser machen können.«
»Und wie kommen die Fotos jetzt nach England?«
»Mark kommt heute Nachmittag vorbei und holt sie ab. Er wollte sie unbedingt selbst mitnehmen. Er fliegt gegen Abend nach London zurück«, erklärte Inken, und Jens fügte hinzu: »Die anderen Reiter sind mit den Pferden schon heute Morgen gestartet, sie fahren mit den Transportern durch den Eurotunnel.«
»Ich würde Mark gern sehen, wenn er kommt. Ich muss ihm auch noch zum Sieg seiner Mannschaft gratulieren.«
»Natürlich, du kannst ihm die Aufnahmen selbst geben. Holger soll inzwischen noch Abzüge für uns machen. Die Fotos sind eine gute Reklame für das Studio.«
Als Inken sie nachmittags rief, hatte Andrea sich wieder beruhigt. Freundlich, aber nicht überschwänglich begrüßte sie den Briten, gratulierte ihm und zeigte ihm die Aufnahmen.
Fast flüsternd sagte er schließlich: »Ich bin überwältigt.« Und dann, etwas lauter: »Es sind die besten Bilder, die ich jemals vom Reitsport gesehen habe. Die Kraft des Absprungs, das Spiel der Muskeln, der Schwung über dem Hindernis und die Wucht der Landung, das ist fantastisch. Und bei all dem dominierenden Vordergrund sieht man auch noch die wunderschöne Landschaft, die faszinierten Zuschauer, man hört förmlich den Beifall – ich bin begeistert.«
Dann wurden die Aufnahmen in Hüllen gesteckt und vorsichtig verpackt, Inken gab ihm die Rechnung, und Mark drückte Andrea einen Kuss auf die Wange.
»Danke, ich werde dafür sorgen, dass Ihr Name überall in Reiterkreisen bekannt wird, ich verspreche es.«
Eine Woche später zehrte Andrea noch immer von ihrem Erfolg. Die Kollegen nannten sie scherzhaft »Die auf den Wolken wandelt«, und sie selbst träumte von Weltruhm und Weltwunder.
Das Wunder geschah am Freitag eine Stunde vor Feierabend, als Inken sie ins Büro rief »Hier ist ein Anruf für dich, ich glaube aus England.«
Sie meldete sich mit einem fröhlichen »Ja bitte, hier ist Andrea Steinberg.«
Dann erkannte sie die Stimme. »Sind Sie das Mark?«
»Ja, ich rufe aus Edinburgh an, Miss Steinberg. Ich wollte Sie einladen herzukommen. Mein Vater hat einen Verlag und plant einen neuen Reiseführer für Schottland. Er hat Ihre Fotos gesehen, und nun will er unbedingt, dass Sie die Bilder für das Buch machen. Wären Sie interessiert?«
»Ja, sehr, aber ich kann das nicht allein entscheiden, ich bin hier fest angestellt. Einen solchen Auftrag muss meine Chefin genehmigen.«
»Dann geben Sie mir Mrs Reinicke bitte noch einmal.« Andrea hielt den Hörer über den Schreibtisch. »Die wollen mich für Schottlandfotos.«
»Gib mal her. Ja bitte, hier ist Inken Reinicke.«
Was Mark sagte, konnte Andrea nicht verstehen, sie sah aber, dass Inken lächelte und nickte. Und dann hörte sie, wie die Chefin sagte: »Sie schicken also den offiziellen Auftrag her, und der Verlag übernimmt zusätzlich die Reisekosten und die Spesen.« Dann verabschiedete sie sich höflich, legte den Hörer auf und sah Andrea an.
»Ich denke, du kannst anfangen, deinen Koffer zu packen, meine Liebe. Nächste Woche bist du in Schottland. Die haben es sehr eilig, damit die Heideblüte auf die Fotos kommt.«
Es gibt noch Wunder, dachte Andrea entzückt und träumte an diesem späten Freitagnachmittag ganz intensiv
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