Schottische Disteln
Besichtigungen, und trotzdem sind Sie schnell aus der Stadt heraus, wenn Sie weiterfahren.«
Das Haus, ein grauer Granitbau mit vielen Ecken und Türmchen, mit weiß getünchten Mauerkanten und weißen Fensterläden, lag etwas erhöht, und man hatte einen wunderschönen Blick auf die Stadt. Mark hielt auf dem Parkplatz.
»Da drüben steht Ihr Auto, ich habe einen geländegängigen Wagen geleast, mit dem Sie überall durchkommen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie auch auf kleinen Straßen unterwegs sein werden, und Mrs Reinicke hat mir gesagt, dass Sie eine gute Fahrerin sind, die sich schnell an einen Vierradantrieb und den Linksverkehr gewöhnen wird. Sie sehen, es ist an alles gedacht.«
Andrea nickte. »Danke, Mark, und wie geht es jetzt weiter?«
»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer und warte dann im Foyer, bis Sie ausgepackt und sich frisch gemacht haben. Dann, dachte ich, fahren wir zum Verlag, damit Sie meinen Vater kennen lernen und er kurz mit Ihnen eventuelle Sonderwünsche besprechen kann. Anschließend gehen wir essen, und ich zeige Ihnen noch ein wenig von Edinburgh bei Nacht, wenn Sie mögen.«
»Gern. Ich werde mich beeilen.«
Das Zimmer war wie das ganze Haus im Landhausstil eingerichtet, und Andrea bedauerte, dass sie nur zwei Nächte hier bleiben würde. Sie musste, wenn ihre Aufnahmen in Edinburgh gemacht waren, weiter aufs Land. Sie wollte an der Ost- und Nordküste entlang bis nach Inverness und von dort aus den Caledonian Canal entlang bis runter zur Westküste fahren, einen kurzen Abstecher auf die Hebriden machen und über Glasgow und durch die Lowlands zurück nach Edinburgh reisen. Sie hatte zehn Tage Zeit, dann wollte sie zurück nach Hamburg, damit Holger ihre Aufnahmen entwickelte, darauf hatte sie bestanden. Sie wusste, wie dieser Mann Fotos verzaubern konnte. In vier Wochen mussten alle Bilder in der Druckerei vorliegen. Viel Zeit hatte Andrea nicht, das war ihr klar, aber es war zu schaffen. Und so ein paar Träume würden sich unterwegs schon für sie erfüllen!
Marks Vater war ein liebenswürdiger, grauhaariger Mann. Er strahlte eine faszinierende Mischung aus lässiger Weltgewandtheit und gepflegtem Charme aus, und Andrea genoss das scherzhafte Geplauder mit ihm. Dabei spürte sie aber deutlich, dass er ganz bestimmte Vorstellungen von ihrer Arbeit hatte und keineswegs gewillt war, sein Geld zum Fenster hinauszuwerfen.
»Sie werden mit meinen Bildern zufrieden sein, sagen Sie mir nur, ob Sie spezielle Wünsche haben, damit ich sie berücksichtigen kann.«
»Fangen Sie das Leben ein: die Gegenwart, die Vergangenheit und die Zukunft. Sie werden sehen, was ich meine, wenn Sie in unseren wachsenden Großstädten unterwegs sind. Lassen Sie die Geschichte zu Wort kommen, sie begegnet Ihnen auf Schritt und Tritt und ist die Basis unseres Lebens, und, vor allem, lassen Sie das Land sprechen, es gibt Antworten auf jede Art von Fragen, wenn man hinhört.«
»Vater«, unterbrach ihn Mark, »erwartest du nicht etwas viel von einem zehntägigen Besuch?«
»Lassen Sie nur, Mark«, winkte Andrea ab. »Ich weiß schon, was Ihr Vater sagen will. Ich verspreche Ihnen, Mr McLaughley, dass ich das Leben einfange. Ich möchte allerdings sofort damit anfangen, sonst reicht die Zeit wirklich nicht.«
Sie umriss ihre geplante Reiseroute, erläuterte einige Höhepunkte, die sie anhand ihrer Unterlagen ausgesucht hatte, und drängte dann darauf, sofort mit der Arbeit zu beginnen.
»Mark, das wird ein Arbeitsessen, wenn Sie mich jetzt in ein Restaurant führen wollen. Ich brauche noch ein paar Tipps für Edinburgh, Aberdeen und Glasgow. Die rasanten Entwicklungen im industriellen Bereich und in der Ölwirtschaft stehen nicht in meinem Reiseführer.«
»Machen wir uns also an die Arbeit.«
Mark holte sich aus dem Verlagsarchiv einige Unterlagen, dann fuhr er mit Andrea an die Küste in ein Restaurant, das bekannt für seine Fischspezialitäten war.
Trotz intensiver Besprechungen und vieler Notizen, die sie sich machte, wurde es ein netter Abend, und Andrea dachte mehr als einmal, dass Mark ein sehr charmanter, durchaus attraktiver Mann war, der witzig und spontan trotz aller Ernsthaftigkeit des Gespräches für angenehme und unterhaltsame Stunden sorgte. Wirklich schade, dass er einen ganzen Kopf kleiner war – aber da hatte Andrea ihre Prinzipien: Das Erscheinungsbild musste harmonieren! Als er sie gegen Mitternacht zurück in ihr Hotel brachte, bedauerten beide, dass der Abend vorbei war. Mark
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