Schottische Disteln
auf, sich anzuschnallen, drosselte den Motor, und langsam verlor die Maschine an Höhe. Im letzten Licht der hinter den Highlands untergehenden Sonne landeten sie auf dem Gelände der Queen-Victoria-Klinik von Aberdeen.
Das Notfallteam stand bereit, und nur Minuten später war Andrea in der Unfallchirurgie. Man wusste in diesem Krankenhaus, was man einem Mann wie Ryan McGregor schuldete. Der Chefarzt übernahm sofort den Fall, und Ryan wurde in einen eleganten Warteraum geführt. Als er den Deutschen in der Halle stehen sah, forderte er ihn auf, mitzugehen. Er wusste, dass er diesen Mann nicht mochte, der da mit allen Fasern seines Wesens Besitzansprüche auf Andrea anmeldete, auf die Frau, die Ryan für sich gewinnen wollte. Er wusste aber auch, dass er sich diesem Fremden gegenüber wie ein Gentleman benehmen musste.
»Kommen Sie mit. Wir werden uns da drinnen etwas sauber machen, und dann können Sie telefonisch ein Hotelzimmer buchen und Ihrem Fahrer sagen, wo Sie zu finden sind.«
Peter folgte ihm.
»Da drüben ist ein Waschraum, Sie können ihn zuerst benutzen.«
Peter versuchte, den ärgsten Staub von seiner Kleidung zu entfernen, und wusch Gesicht und Hände. Ryan telefonierte mit seinem Butler.
»James, ich bin im Queen-Victoria-Hospital. Bring mir bitte komplett frische Kleidung.«
»Sofort Sir, ich bin in fünf Minuten unterwegs. Darf ich fragen, ob Sie einen Unfall hatten?«
»Ich nicht, aber ich habe bei einem Unfall geholfen. Bis gleich, James.«
»Jawohl, Sir.«
Ryan zeigte Peter den Telefonapparat an der Wand. Er war nicht bereit, ihm sein Handy anzubieten, und obwohl er das selbst albern fand, steckte er seinen Apparat in seine Jackentasche.
»Ich empfehle Ihnen das Greenparc Hotel. Die Nummer finden Sie dort drüben im Verzeichnis.«
Dann ließ er Peter allein und ging auf die Privatstation, um zu kontrollieren, ob alles für Andreas Aufnahme vorbereitet war. Wie er es angeordnet hatte, war das beste Zimmer, das sonst nur ihm vorbehalten war, das er aber noch nie bewohnt hatte, für sie hergerichtet worden.
Die Schwester, die sichtlich stolz darauf war, das fertige Zimmer präsentieren zu können, war nicht wenig erstaunt, als sie sah, dass Ryan McGregor jede Kleinigkeit überprüfte. Er überzeugte sich von der Weichheit der Handtücher und vom Duft der Seife, strich über die seidenglatte Bettwäsche und schüttelte persönlich das Kopfkissen noch einmal auf, er besah sich den Morgenmantel im Schrank und das Geschirr auf dem Servicewagen.
Er sah sich um, blickte aus dem Fenster, befühlte die Vorhänge, kontrollierte den Sonnenschutz und verlangte: »Besorgen Sie bitte einige kleine Blumensträuße. Nichts Aufdringliches, ich wünsche keinen Gewächshauseffekt, nur ein paar liebevoll zusammengestellte kleine Sträuße, die im Zimmer verteilt werden. Es gibt doch ein Blumengeschäft unten im Foyer?«
»Ja natürlich, Mr McGregor.«
»Dann machen Sie das jetzt bitte.«
Als die Schwester weg war, setzte er sich in einen Sessel. Endlich allein. Ihm war zum Heulen zumute. Was würde passieren, wenn Andrea zu sich kam, wie würde sie die Verletzungen ertragen, deren Narben sie ein Leben lang mit sich herumtragen musste? Was würde sie sagen, wenn sie dahinter kam, wer er war, dass er sie belogen und hintergangen hatte? Aber spielte das jetzt noch eine Rolle? Gab es etwas Wichtigeres als ihre Gesundheit, als ihr zu helfen, über den Schock ihres Lebens hinwegzukommen? Was musste sie durchgemacht haben, allein da draußen, die Krähen um sich herum, die immer näher kamen, und sie selbst so gefangen, dass sie sich nicht rühren konnte! Wie lange mochte sie sich gewehrt haben, wie lange geschrien, um die Vögel zu vertreiben? Ryan stöhnte laut, als er daran dachte.
Er stand auf und trat ans Fenster. In der Stadt gingen die ersten Lichter an. Drüben, am anderen Ufer des Dee, war die ganze Gegend in orangerotes Licht getaucht, das waren die Speziallampen auf seinem Werftgelände, die mit zunehmender Dunkelheit immer heller wurden. Nachts leuchteten sie weißblau und vermittelten den Arbeitern auf dem Gelände den Eindruck von Tageslicht. Sein Unternehmen, sein Imperium – wie gern hätte er das alles in diesem Augenblick weggegeben, wie gern wäre er jetzt eingetaucht in die bescheidene Rolle eines Schäfers, der die Frau, die er liebte, in den Armen hielt. Denn dass er Andrea liebte, war ihm an diesem Tag klar geworden. Daran gab es überhaupt keinen Zweifel mehr.
XV
Ryan öffnete die
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