Schottische Disteln
war so lieb, so hilfreich, so mütterlich, aber sie soll nun wieder ihr eigenes Leben führen, bei ihrem Mann sein, in ihrem eigenen Bett schlafen, mit ihren Enkelkindern spielen können. Mir geht es gut, ich komme wirklich allein zurecht.«
Ryan sah sie zweifelnd an und auch etwas unglücklich. Solange Mary hier war, wusste er, wie es um Andrea stand, er wusste, dass sie gut versorgt war und dass jemand auf sie aufpasste. Sie entglitt ihm langsam, suchte nach neuen Wegen, und das wollte er nicht zulassen, nicht, bevor sie sich nicht eindeutig für ihn entschieden hatte. Mary musste ihm dabei helfen, er konnte sie hier nicht wegnehmen.
»Bitte, Andrea, noch ein, zwei Tage, ich habe einfach ein besseres Gefühl, wenn Mary hier ist.«
»Gut, wenn du es wünschst, ich will nicht undankbar sein. Aber ich habe mit dem Professor gesprochen, ich möchte so bald wie möglich hier heraus. Und ich muss vorher ein paar Tage allein zurechtkommen, bevor ich mich draußen wieder umsehe. Das musst du verstehen.«
Ryan war blass geworden, ließ sich aber seinen Schrecken nicht anmerken. »Was hat der Professor gesagt?«
»Ich mache jetzt gute Fortschritte. Ich brauche später noch Nachbehandlungen, Ölbäder, leichte Massagen, weil ich allein nicht an den Rücken herankomme, aber dazu sei dann kein Klinikaufenthalt mehr nötig.«
»Davon hat er mir noch gar nichts gesagt.«
»Nein, ich habe ihn erst heute Morgen unter Druck gesetzt. Ich muss hier heraus. Ich muss wieder leben, irgendwie muss ich doch wieder auf die Beine kommen, Ryan, bitte versteh mich richtig.«
»Natürlich, Andrea. Aber überstürze nichts. Bleib bitte so lange, bis du eine Lösung für die Zukunft gefunden hast. Könntest du mir das versprechen?«
»Ja, aber ich beeile mich, damit musst du rechnen.«
»Ich verstehe.«
Andrea merkte, dass Ryan enttäuscht war. Aber sie hatte sich entschlossen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen, und dabei durfte sie niemand stören.
Als Ryan fort war, wickelte sie das Päckchen aus. An der Schatulle merkte sie, dass sie ein Schmuckstück enthalten würde. Sie war erschrocken, ja verärgert. Schmuck, das war das Letzte, was Ryan ihr schenken durfte. Niemals würde sie Schmuck von ihm annehmen. Sie mochte den Schäfer, den einfachen Mann mit dem offenen Hemd und dem verführerischen graugoldenen Haarbüschel auf der Brust, in das sie sich verliebt hatte, aber sie mochte nicht den reichen Unternehmer im Nadelstreifenanzug, der nun auch noch mit Schmuckstücken zu beeindrucken versuchte. Wahrscheinlich hatte er, wie das in diesen Kreisen so üblich war, eine Sekretärin beauftragt, irgendetwas zu besorgen. Schlimm genug, dass sie auf seine Kosten in diesem Krankenhaus liegen musste und dass sie gezwungen war, Blumen und Wäsche von ihm anzunehmen, abgesehen davon, was diese ganze Such- und Rettungsaktion gekostet haben mochte, aber nun ging er zu weit. Enttäuscht legte sie das Päckchen auf die Fensterbank und schüttelte den Kopf. Schade, dass er sich so vergriffen hatte.
Mary, die Ryan bis zum Lift begleitet hatte, spürte sofort die Verärgerung, als sie das Zimmer betrat.
»Was ist passiert, Andrea?« Sie kam näher und sah die dunkelblaue, elegante Schachtel. »Hat Ryan dich verletzt?«
»Das kann man wohl sagen. Mary, ich will keinen Schmuck von ihm, das müsste er wissen.«
»Aber woher denn?«
»Wir haben keine intime Beziehung, die Schmuck rechtfertigen würde, und die Freundschaft, die uns verbindet, erlaubt solche pompösen Gebärden nicht. Ein Mann mit Feingefühl weiß das.«
»Andrea, du bist zu streng. Woher soll er das denn alles wissen?« Sie nahm die kleine Schachtel in die Hand. »Hast du denn schon hineingesehen?«
»Nein, es interessiert mich nicht.«
»Darf ich einen Blick hineinwerfen?«
»Bitte.«
Mary öffnete den kleinen Verschluss, seufzte tief und war stumm vor Entzücken. So etwas Schönes hatte sie noch nie gesehen.
Als sie nichts hörte, drehte sich Andrea zu ihr um. »Hat dich ein Blitz getroffen, Mary?«
»So könnte man es nennen.«
»Zeig her, ein Blitz ist immerhin mal eine Abwechslung.«
Andrea stockte der Atem, als sie den Armreifen sah. Ja, das war ein unglaubliches Geschenk, keines, das eine Sekretärin ausgesucht hatte, keines, das protzig auf Wohlhabenheit pochte oder unüberlegt mal eben gekauft worden war. Das war ein Geschenk mit einer ganz bestimmten Bedeutung. Es war ein Wegweiser, das wusste sie sofort. Sie spürte, dass ihr Tränen über das Gesicht
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