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Schottische Disteln

Schottische Disteln

Titel: Schottische Disteln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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liefen, und als Mary ihr ein Taschentuch reichte, sah sie zu der Frau auf und nickte: »Er weiß, was ich brauche, er weiß das ganz genau!«
    »Er ist Ryan McGregor, Andrea, er ist ein ungewöhnlicher Mann. Du wirst ihn immer besser kennen lernen.«
    Andrea legte den Reifen um ihr Handgelenk, und wie verzaubert sah sie alles vor sich: schottische Disteln, die Highlands, die blühende Heide, die Schafe, das Moor, das Meer, Bella und Ajax – und Ryan, den Schäfer. Träumte sie schon wieder?
    Ryan hatte gesagt: »Mach es auf, wenn ich weg bin, damit du dann in Ruhe darüber nachdenken kannst.« Sie brauchte keine Zeit mehr zum Nachdenken, sie wusste, wohin sie wollte: zurück in die Highlands. Natürlich, das Cottage, die Hunde, die Schafe, den Schäfer gab es dann nicht mehr, aber sie würde nach Tradespark fahren und bei Mrs Jackson wohnen. Dort waren auch die Highlands, und das Cottage war nahe genug, um heimlich hinzufahren, im Gras zu liegen und zu träumen, um die alten Wege zum Hochmoor hinaufzugehen, die Berge in der Ferne und die Hügel in der Nähe zu sehen, das Meer zu hören und an Ryan zu denken.
    Und dann würde sie sich um Kunst und Krempel kümmern, nach Antiquitäten suchen und Flohmärkte durchstöbern. Und wenn sie genug beisammen hatte, würde sie die Sachen in Hamburg restaurieren lassen und verkaufen. Sie würde mit Gabi, ihrer Freundin, sprechen, die war immer für etwas Neues zu begeistern, und vielleicht würde sie mitmachen und den Hamburger Teil übernehmen. Gabi war nicht glücklich in ihrem Job als Anwaltsgehilfin, sie hatte sich mehr vom Leben erträumt, als verstaubte Akten zu sortieren und Testamente zu tippen, sie würde mitmachen, und dann konnte sie selbst hier bleiben und für Nachschub sorgen. Oh, mein Gott! Schottische Disteln, sie träumte schon wieder!
    Es war fast zehn Uhr abends, als bei Peter Erasmus die Türklingel ging. Peter, der bereits in Pyjama und Hausmantel war und auf der Terrasse bei einem Glas Moselwein den Spätsommerabend genoss, bat Anne, nachzusehen.
    Sie öffnete die Tür, ließ aber die Sicherheitskette davor, so spät abends war Besuch eher ungewöhnlich, und sie wollte vorsichtig sein. Vor ihr standen ein Mann und eine Frau.
    »Wir sind Inken und Jens Reinicke vom Fotostudio Rosenhaus, wir hätten gern Herrn Erasmus gesprochen, wenn das um diese Zeit noch möglich ist.«
    Anne führte die Besucher in die Bibliothek und ging hinaus, um Peter von den Gästen zu berichten.
    »Die Reinickes? So spät noch? Da muss etwas mit Andrea passiert sein. Ich komme.« Als er die beiden sah, wusste er, dass ihn sein Gefühl nicht getrogen hatte. Sie sahen bestürzt und ratlos aus.
    »Kann ich Ihnen etwas anbieten, einen Brandy oder etwas anderes vielleicht? Sie sehen so erschrocken aus, was ist passiert?«
    Jens erklärte: »Es tut uns Leid, dass wir so spät noch stören, aber wir haben gerade eine E-Mail von Andrea bekommen, und wir dachten, dass Sie vielleicht eine Erklärung dafür haben.«
    »Was schreibt Sie? Ich habe seit dem Unfall nichts mehr von ihr persönlich gehört, und wenn ich in der Klinik anrufe, heißt es immer nur, sie sei auf dem Wege der Besserung, aber die Wunden bräuchten ihre Zeit zum Heilen.«
    »Sie hat uns geschrieben, dass sie ihre Arbeit bei uns sofort beenden möchte.«
    Jens Reinicke gab ihm den Computerausdruck. »Lesen Sie selbst, sie schreibt nicht einmal, weshalb.«
    Peter las den Brief und wurde blass. »Das verstehe ich nicht. Sie war doch glücklich mit ihrer Arbeit, sie hat sich bei Ihnen wohl gefühlt, sie hat so schöne Aufnahmen gemacht, und nun wirft sie alles hin?«
    »Sie wollte natürlich mehr. Ich weiß, dass sie weiterkommen wollte und nicht hundertprozentig zufrieden war«, erklärte Inken. »Aber sie hat nie gesagt, dass sie aufhören will, und das von einem Tag auf den anderen.« Inken nahm den Brief. »Und dann hier: Sie schreibt, der Unfall sei schuld und sie wolle nun ganz von vorn anfangen. Womit denn bloß? Sie hat doch nichts anderes gelernt. Sie ist unsere beste Fotografin, und das weiß sie auch.«
    »Hat sie sich nicht verpflichtet, nach der Ausbildung bei Ihnen zu bleiben?«, warf Peter ein.
    »Ja«, nickte Jens, »das hat sie, aber diese festgelegte Zeit ist längst abgelaufen. Ehrlich gesagt, wir möchten sie nicht verlieren. Andrea ist ja nicht nur eine gute Fotografin, sie ist eine fabelhafte Mitarbeiterin. Die Kunden mögen sie, und es ist gerade bei Fotoarbeiten so wichtig, dass zwischen Fotograf und

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