Schottische Engel: Roman (German Edition)
allein an einem freien Tisch, ohne ein amüsantes Gegenüber. Das werden wir jetzt ändern. Ich setze mich zu Ihnen, und Sie werden sehen, wie unterhaltsam es ist, nicht allein mit seinem Rührei und den Bratwürstchen an einem Tisch zu sitzen.«
»Ich unterhalte mich aber nicht gern beim Essen«, brummte er missgestimmt.
»Unsinn, eine erheiternde Unterhaltung macht das Essen erst anregend. Kommen Sie, ich hole mir auch etwas, und dann setzen wir uns dort drüben an den Tisch am Fenster.«
Walter wartete zwar verärgert, aber höflich, bis Joan sich den Teller voller Obst gepackt hatte und dann wieder zu ihm trat. »Na, sehen Sie, wir verstehen uns doch blendend.« Sie winkte eine Kellnerin herbei, die sie mit Kaffee bediente, und begann, ihr Obst zu essen.
»Ist das Ihr ganzes Frühstück?«, staunte Walter.
»Ich muss auf meine Figur achten. Wenn man in der Damenmodebranche tätig ist, gehört eine gertenschlanke Figur zum Geschäft.«
»Wie ungesund. Für mich ist das Frühstück die Hauptmahlzeit am Tag«, erklärte er begeistert und genoss den Speck und die Brötchen, das Ei und die Toastbrotscheiben, und die Würstchen aß er ohne Brot. Dann sah er heimlich auf die Armbanduhr. Es wurde Zeit für ihn, wenn er mit dem Engel zusammen pünktlich am Flughafen sein wollte.
Aber der Blick auf die Uhr blieb Joan nicht verborgen. »Warum so eilig? Lassen Sie uns unser Miteinander genießen. Wir bummeln gemeinsam durch die schöne Stadt, essen irgendwo am Elbufer zu Mittag, machen eine Schifffahrt durch die Kanäle und verbringen einen höchst erfreulichen Abend zusammen.«
»Das geht nicht, ich muss heute Vormittag zurückfliegen. Der Flug ist fest gebucht.«
»Ach was, Buchungen sind dazu da, umgebucht zu werden. Sie wollen mich doch nicht hier allein lassen? Das wäre sehr unhöflich, lieber Mister Perband.«
Aber Walter schüttelte denn Kopf. »Ich habe meine Pflichten, und die muss ich pünktlich erledigen. Meine Reise musste gut vorbereitet werden, daran kann ich jetzt nichts mehr ändern.«
»Reisen Sie etwa wieder mit diesem Monstrum von Schrankkoffer? Ich dachte, da sei Ihre Kleidung für ein ganzes Jahr drinnen und Sie könnten eine unbestimmte Zeit auf Reisen sein.«
»Mit dem Koffer reise ich wieder zurück. Aber da ist keine Kleidung drinnen, sondern ...« Er hielt plötzlich inne – sollte, durfte er von seinem Gepäck berichten? Lieber nicht!
»Was denn sonst? Sie machen mich neugierig, lieber Walter. «
»Ich transportiere Bücher für eine Bibliothek.«
»Bücher, mein Gott, sind die nicht in Kisten viel besser untergebracht?« Joans Neugier war erwacht, und sie fühlte genau, dass der Mann nicht die Wahrheit sagte. Er war ganz rot geworden vor Verlegenheit, und sie hatte ein feines Gespür für verbotene oder riskante Handlungen. Schließlich war sie, als es die Zollerleichterungen in Europa noch nicht gab, oft genug mit zollpflichtigen Sachen über die Grenzen gereist. Parfüms aus Paris, Weine aus Italien, Zigaretten aus Deutschland, Schmuck aus der Schweiz. Ach ja, es waren interessante Reisen gewesen, und das Kribbeln der Angst, ertappt zu werden, hatte die Lust an solchen Unternehmungen erhöht. Dieser naiv und harmlos aussehende Mann hatte ein Geheimnis. Wie wunderbar. Sie würde alles daransetzen, dieses Rätsel zu lösen.
Sie aß das letzte Stückchen Ananas, schob die übrig gebliebene Erdbeere zwischen die Lippen und trank ihren Kaffee aus. »Sie wollen mich also allein hier zurücklassen. David McClay ist klammheimlich verschwunden, wie ich feststellen musste, sein Personal ist abgereist, und meine Rechnungen hat er auch nicht bezahlt. Bevor es mir hier zu kostspielig wird, reise ich lieber auch ab.«
»Aber doch nicht meinetwegen.« Walter Perband bekam es mit der Angst zu tun. Diese aufdringliche Person bis nach Edinburgh zu ertragen, war unmöglich. Er wollte auf dem Flug seine Ruhe haben und sich unterwegs verwöhnen lassen, er wollte sich auf sein Zuhause konzentrieren, auf die Ablieferung des Engels, den Dank des Museums, und er wollte sich auf sein Honorar freuen. Und auf gar keinen Fall wollte er eine nichtssagende Konversation betreiben.
Er stand auf. »Also, Madam, ich wünsche Ihnen noch viel Vergnügen hier in Hamburg und irgendwann eine glückliche Heimreise.« Er verbeugte sich höflich und wollte sich abwenden, doch Joan war aufgesprungen und hielt ihn am Arm fest. »Aber nicht doch, lieber Walter. Ohne Sie ist die Stadt nicht mehr interessant für mich. Ich
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