Schottische Engel: Roman (German Edition)
verabschieden.“
Der Sergeant reichte ihr ein Taschentuch und blieb vor der Tür zum Raum der Stille stehen. „Soll ich mit hereinkommen, Miss Mackingtosh?“, fragte er vorsichtig.
Lena schüttelte den Kopf. „Danke, aber ich glaube, ich möchte jetzt mit meinen Eltern allein sein.“
„Gut, ich warte hier draußen auf Sie. Aber bitte, bleiben Sie nicht zu lange.“
„Warum? Sie brauchen nicht auf mich zu warten.“
„Bitte, Miss Mackingtosh, Sie haben heute noch weitere Aufgaben vor sich.“
„Es gibt nichts, was jetzt wichtiger für mich wäre.“
„Einhundertzwanzig hungrige, unversorgte Tiere warten auf der Farm Paso Fernando auf Sie. Ein Ranger hat uns angerufen und um Hilfe gebeten.“
„Ach Gott, die Alpakas …“
Dann betrat Lena den Raum der Stille im Krankenhaus von Barcaldine.
Die beiden Toten lagen auf getrennt stehenden Bahren. Lena schob sie zusammen, dann hob sie vorsichtig die Tücher, die die Körper bedeckten. Aber beide waren mit weißen Mullbinden bandagiert, und Lena konnte nur ahnen, wer ihre Mutter und wer ihr Vater war. Weinend deckte sie die Toten wieder zu und suchte nach den Händen. Als sie sie gefunden hatte und ganz fest hielt, sagte sie leise: „ Auf Wiedersehen, Mama, auf Wiedersehen, Papa.“ Dann legte sie die Hand der Mutter in die des Vaters und verließ den Raum der Stille.
Draußen bat sie den Sergeant: „Bitte sagen Sie dem Beerdigungsunternehmer, dass meine Eltern Hand in Hand und in einem gemeinsamen Sarg beerdigt werden sollen. Ich komme morgen und bespreche alles mit ihm. Jetzt muss ich nach Hause und Mutters Alpakas versorgen. Und dann muss ich mich um Vaters Praxis kümmern. Da wird es bestimmt Menschen geben, die auf seinen Besuch warten.“
Kapitel 2
Die Fahrt auf der engen, kurvenreichen Landstraße war in der Dunkelheit nicht ungefährlich. Auch wenn Lena jede Biegung kannte, die Tränen verschleierten ihren Blick, und die zitternden Hände zerrten am Lenkrad. Zum Glück hatte Sergeant Marloff sich bereit erklärt, Lena zu begleiten. Er wusste, in welcher Verfassung die junge Frau war, und erklärte seinem Kollegen: „Ich kann sie jetzt nicht allein lassen, wir wollen doch nicht, dass die gesamte Familie beerdigt werden muss.“
„Nein, nein, nur das nicht. Fahr mit und kümmere dich um die Frau. Ist ja schrecklich, was sie jetzt durchmachen muss.“
So nahm der Sergeant sein Motorrad und erklärte Lena: „Ich begleite Sie, Miss Mackingtosh. Ich fahre langsam vor Ihnen her, und Sie brauchen mir nur zu folgen.“
Lena nickte dankbar, für Worte hatte sie noch keine Kraft. Sie setzte sich hinter das Steuer und folgte dem Sergeant die lange, einsame Strecke von Barcaldine bis zum Benderloch, wo im Schutz der Berge Broadfield und am hinteren Dorfrand die kleine Farm der Eltern lag. Als sie Paso Fernando erreichten, sah sie im Schein der Autolampen die dicht gedrängte Schar der Alpakas am Ausgangsgatter stehen, wie immer bewacht von Lilly und Bully, den beiden Border Collies, die es gewohnt waren, die Herde am Abend zum Auslaufgatter zu treiben und in Schach zu halten, bis die Herrin kam und die Tiere versorgte.
Mein Gott, dachte Lena, diese vielen Tiere, was mache ich denn nur damit? Sie stieg aus und ging im Licht der Scheinwerfer zur Koppel, wo die Herde sie laut blökend empfing. Die Hunde, die die Alpakas ständig leise knurrend umkreisten, kamen immer wieder in ihre Nähe, um durch leises Kläffen ihre Freude, dass endlich jemand gekommen war, zu bezeugen.
Lena wusste, dass ihre Mutter bis in die ersten Maiwochen hinein die Herde tagsüber im Freien hielt und nachts in den großen Laufstall sperrte, wo sie vor der Kälte Schutz fanden. Ich muss die Gatter also so öffnen, dass die Tiere in den Stall laufen können und mir nicht entwischen, überlegte sie.
Als Sergeant Marloff sie fragend ansah, erklärte sie: „Wenn Sie mir noch helfen würden, die Gatter so zu stellen, dass die Tiere dort in den großen Stall laufen, dann wäre ich Ihnen sehr dankbar. Und danach bitte gleich wieder schließen.“
Der Sergeant stellte sein Motorrad so, dass dessen Scheinwerfer den zweiten Teil des Durchgangs beleuchtete und half dann, die Gatter in die richtige Stellung zu bringen. Erst ganz zum Schluss öffnete Lena das letzte Tor und ließ die grummelnde Herde mit den wachsamen Hunden zum Stall hindurchlaufen. Dann schlossen sie die Zwischenzäune, und Lena bedankte sich. „Sonst treibt meine Mutter die Herde bei Tageslicht hinein, heute war
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