Schottische Engel: Roman (German Edition)
schob er die ersten dünnen Holzscheite nach. Der Ofen in der Mitte der Hütte war zugleich Kochherd und Wärmespender für die vier Räume, in die die Blockhütte unterteilt war. Ein großer und ein kleiner Schlafraum sowie ein Vorratsraum grenzten an den großen, mittleren Raum, der Wohnzimmer, Küche und Esszimmer in einem war.
James stellte die Tasche auf den Tisch, packte die Lebensmittel aus, die er mitgebracht hatte, und stellte den Kessel mit Wasser auf den Herd. Als es siedete, holte er die Teedose aus dem Schrank, und gleich darauf zog der Duft von indischem Darjeeling durch die Hütte. Der eine, kleine Ferientag konnte beginnen.
V
James Grantino verbrachte einen ruhigen Tag. Er wanderte ein Stück zum Megget Reservoire hinauf, besuchte den Bootsbauer am St. Mary's Loch, bei dem sein Boot überwinterte, und genoss die Frühlingssonne auf seiner Terrasse. Am späten Nachmittag fuhr er nach ›Lone House‹, um seine Patientin zu besuchen. Er untersuchte sie noch einmal gründlich, entfernte die Klammer und verschloss die Wunde mit einem Pflaster. ›Eigentlich mein letzter Besuch bei ihr‹, dachte er etwas enttäuscht. ›Sie hat sich gut erholt, sie braucht mich nicht mehr. Ab morgen darf sie aufstehen.‹
Nach der Visite fuhr er zurück nach Edinburgh. Der freie Tag war vorbei. Kaum in seiner Wohnung angelangt, klingelte das Telefon.
»Hier ist Isabelle Lloyd. Verzeihen Sie die Störung, Doktor Grantino, aber ich bin auf der Suche nach meinem Mann. In der Klinik sagte man mir, er sei mit einem der Ärzte fortgegangen, und nun rufe ich reihum an und suche ihn. Ist er zufällig bei Ihnen?«
Grantino, angenehm überrascht, mit der von ihm heimlich verehrten Isabelle Lloyd zu sprechen, lächelte. »Nein, gnädige Frau. Ich habe den Herrn Professor heute noch nicht gesehen. Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« Er wollte das Gespräch in die Länge ziehen. Sie hatte so eine feine, sympathische Stimme am Telefon, er hätte sich stundenlang mit ihr unterhalten können.
Sie zögerte einen Augenblick. »Wir haben eine Einladung zu einer Vernissage für intime, verschwiegene Gäste, und ich würde sehr gern hingehen. Es sind Freunde, und sie wären sehr enttäuscht, wenn wir nicht kämen. Aber anscheinend hat mein Mann die Einladung vergessen. Nun muss ich, höchst ungern allerdings, ein Taxi nehmen und allein hinfahren.«
James wurde hellhörig. »Würden Sie auch mit mir vorliebnehmen? Ich habe heute nichts vor, es ist mein freier Tag, und es wäre mir ein Vergnügen, Sie zu begleiten, gnädige Frau.« Er war fest entschlossen, die Gelegenheit, diese faszinierende Frau, die er schon so lange bewunderte und bedauerte, endlich einmal näher kennenzulernen.
»Danke, Doktor, ich würde mich sehr über Ihre Begleitung freuen.«
»Dann bin ich in zwanzig Minuten mit dem Wagen bei Ihnen.«
Isabelle Lloyd wartete vor ihrer Haustür, als James vorfuhr. Lächelnd kam sie auf ihn zu. »Wir werden ein Gewitter bekommen. Sehen Sie das Wetterleuchten im Süden?« James stieg aus. Von der Anhöhe, auf der das Haus stand, hatte man einen wunderbaren Blick über die Stadt. »Ich bin froh, dass ich nicht allein zu Hause sitzen muss. Ich bin ein ziemlicher Angsthase.« Sie reichte ihm die Hand. »Danke, dass Sie gekommen sind.«
James öffnete ihr die Tür und half ihr beim Einsteigen. Sie hatte ein elegantes Abendkleid mit einer auffallend schön bestickten Stola an und darüber ein schwarzes Wollcape gegen den frischen Wind vom Meer. Er selbst hatte in aller Eile den Smoking angezogen und schaute unauffällig im Rückspiegel nach, ob er die Fliege richtig gebunden hatte. Als er sah, dass sie perfekt saß, startete er und fuhr langsam in Richtung Dalmeny davon.
»Womit habe ich so viel Aufmerksamkeit eigentlich verdient?«, wandte er sich an seine Begleiterin.
Sie lächelte. »Nennen Sie es ein – nun, einen kleinen Spaß auf ein sehr kleines Abenteuer. Ich hatte keine Lust, allein zu der Vernissage zu fahren, und noch weniger Lust, den Abend allein zu Hause zu verbringen. Ich bin sehr oft allein, müssen Sie wissen.«
James warf ihr einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder auf den abendlichen Verkehr.
Sie lachte. »Manchmal fällt es mir schwer, mit dem Alleinsein und der Langeweile fertig zu werden. Man wartet auf etwas, was dann doch nicht eintrifft, das finde ich frustrierend.«
Grantino dachte zurück an die seltenen Gelegenheiten, die ihn mit Isabelle Lloyd zusammengeführt hatten. Eine
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