Schottische Engel: Roman (German Edition)
stand, vom milden Licht der Kerzen sanft beleuchtet, eine Engelskulptur, schlicht, grau, vom flackernden Schein zur Lebendigkeit erweckt und von uralter Herkunft.
Ergriffen von der schlichten Einfachheit der einen Meter großen Statue und dem lebendigen Ausdruck, schwiegen die Leute. Dann kamen leise Worte auf: »einzigartig«, »überirdisch«, »archaisch«, »wunderschön«!
Man gratulierte dem Sammler und lobte ihn. Erfreut über die Glückwünsche und die Anerkennung, schüttelte Södergren die Hände seiner Gäste, erklärte, wie und wo er den Engel ersteigert hatte und wie lange die Kunstwelt auf das Erscheinen der Skulptur gewartet hatte, die zu einem Zyklus von drei Engeln gehörte, die Titurenius im Florenz des 16. Jahrhunderts geschnitzt hatte. Lächelnd und hoch zufrieden versicherte er, dass so mancher Sammler und viele Museen auf das Auftauchen der jahrelang verschollenen Figur gewartet hätten und dass er sich glücklich schätze, als erster und meistbietender Sammler die Figur erhalten zu haben.
Dann bat er die Gäste zum Essen. »Meine Damen, meine Herren, das Büfett ist eröffnet.« Die kleine Kapelle spielte leise Tischmusik, und vergnügt wandten sich die Gäste dem Speisesaal zu, während Christian Södergren mithilfe seines Butlers die Skulptur wieder in das Seidentuch hüllte, die Kerzen löschte und den kleinen Raum verschloss.
James führte Isabelle zum Büfett, das von ›Michael-Clarkes-Holiday‹, dem besten Feinkostanbieter Edinburghs, geliefert worden war. Es gab Delikatessen, die James nicht einmal dem Namen nach kannte, und mit Begeisterung langte er zu. Dennoch beherrschte ihn ein seltsames Gefühl. Er wurde den Gedanken an den Engel nicht los. Irgendwann, irgendwo hatte er von so einem Engel schon gehört.
Aber als die Kapelle zum Tanz aufspielte, vergaß er den Engel wieder und nahm Isabelle in den Arm. Glücklich und beschwingt flogen sie über das Parkett, wie ein eingespieltes Team drehten sie sich im Takt der Melodien und wiegten sich eng verbunden im Rhythmus des Tangos. Ihre Körper waren eine Einheit geworden, und ihre Herzen klopften, als wollten sie zerspringen. Isabelle spürte ganz intensiv den Mann, der sie fest an sich presste, und James ließ seine Hand über die nackten Schultern, die Taille und die Hüfte seiner Partnerin gleiten, die ihre Stola längst abgelegt hatte. Atemlos ließen sie schließlich voneinander, als die Musiker eine Pause einlegten.
Sie nahmen eine Erfrischung von der Bar und ließen sich glücklich ermattet und errötet in zwei Sessel fallen. James sah Isabelle in die Augen, und was er sah, gefiel ihm. Sie wollte mehr, sie wollte das, was ihre Berührungen versprochen hatten. Er war empfänglich für ihre Signale, und seine Augen antworteten und gaben die Signale zurück. Und dann sah er plötzlich, wie sich ihre Augen weiteten, erschrocken zur Tür blickten und dann, ganz schnell, von einer Sekunde zur anderen ihren Glanz verloren.
In ein Gespräch vertieft, betraten Christian Södergren und Donald Lloyd den Saal. Mit einem zärtlichen Händedruck wollte James Isabelle beruhigen, aber sie entzog ihm ihre Hand.
Und dann sah der Professor seine Frau, kam auf sie zu und erklärte: »Es wird Zeit zu gehen, meine Liebe.« Er ergriff ihren Arm, und an den weiß hervortretenden Knöcheln seiner Finger sah James, mit welcher Gewalt der Mann den Arm seiner Frau gepackt hatte. Den Arzt an ihrer Seite übersah er. Das Ehepaar Lloyd verabschiedete sich vom Gastgeber und verließ den festlichen Saal, in dem die Tanzmusik wieder eingesetzt hatte.
James Grantino wartete zehn Minuten, dann stand er auf, suchte den Gastgeber und verabschiedete sich. Södergren sah ihn einen Augenblick an, dann sagte er: »Es steht mir nicht zu, Sie zu warnen, deshalb tue ich es auch nicht.« Dann drehte er sich um und widmete sich wieder seinen Gästen.
VI
David McClay saß im Fond seines Wagens und blätterte in Geschäftsunterlagen. Bert Drumworld war ein guter Chauffeur, und McClay hatte ein absolut sicheres Gefühl, wenn der Mann am Steuer saß. Obwohl die Zeit drängte, konnte er sich ganz auf seine Geschäfte konzentrieren. Sie würden garantiert pünktlich in Dumfries ankommen und zur Eröffnung der Versteigerung anwesend sein. Aber dann schweiften seine Gedanken doch ab, und er dachte an Mary Ashton, die in seinem Haus darauf wartete, dass er erfolgreich zurückkam. Er lächelte. ›Meine Güte, worauf habe ich mich da eingelassen? Eine Versteigerung, das
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