Schottische Engel: Roman (German Edition)
ihr die zu untersuchenden Objekte zeigte, hörte sie aus dem Nebenzimmer einen lauten Wortwechsel. ›Sie streiten sich schon wieder‹, dachte Mary und begann mit ihrer Arbeit.
Zornig erklärte der Hausherr seiner Schwester: »Wenn du mir nicht bald hilfst, kannst du wieder nach Hause fahren. Ich habe dich nicht hergebeten, um mir laufend Vorwürfe zu machen, sondern um mir behilflich zu sein. Und das tust du in keiner Weise.«
»Ja, meinst du denn, ich säge freiwillig den Ast ab, auf dem ich sitze?«
»So ein Unsinn, wie kommst du denn auf so einen Gedanken?«
»Ich kenne dich eben. Wenn du einen persönlichen Vorteil erlangen kannst, sind alle anderen Menschen Nebensache. Und ich denke nicht daran, zu einer Nebensache degradiert zu werden.«
»Was hast du denn mit Mary Ashton zu tun?«
Jetzt wurde Mary hellhörig. Anscheinend ging es in dem Streit wieder um sie, da musste es erlaubt sein zuzuhören. Sie rückte den Stuhl, den sie gerade prüfte, näher an die Tür, die die beiden Räume verband.
Gretas Stimme wurde mal lauter, mal leiser, ein Zeichen dafür, das sie hin- und herlief. Schritte waren auf dem Teppich, der den Fußboden bedeckte, natürlich nicht zu hören. Mary kannte das Zimmer und den dicken indischen Bodenbelag, sie hatte erst vor zwei Tagen dort gearbeitet.
»Wenn du Mary Ashton heiratest, wird sie deine Erbin, und das soll ich widerspruchslos hinnehmen?«
»Für dich bleibt genügend übrig.«
»Ich begnüge mich aber nicht mit Resten, mit Übriggebliebenem. Ich habe den gleichen Anspruch auf unser Vermögen wie du.«
»Und was hast du dafür getan? Hast du die Welt bereist, um ein Vermögen zu verdienen, bist du bei Wind und Wetter auf Bohrtürme geklettert, um die Ölförderung zu beaufsichtigen und die schwer arbeitenden Männer zu ermutigen, die Arbeit nicht aufzugeben, hast du mit Politikern und Wirtschaftbossen diskutiert und um dein Recht gekämpft, wenn man es dir streitig machen wollte? Nichts hast du gemacht. Du hast im Schloss in Schweden gesessen und es dir gut gehen lassen. Und nun bitte ich dich um einen winzigen Gefallen, und den lehnst du ab. Das ist nicht fair, Greta.«
»Was heißt hier fair. Hätte ich gewusst, dass ich deine zukünftige Geliebte gefügig machen soll, wäre ich nicht gekommen, das kannst du mir glauben.«
»Was heißt gefügig machen? Du solltest nett zu ihr sein, ihr von meiner Toleranz und Großzügigkeit erzählen, von unserem schönen Leben, das wir jetzt genießen, du solltest ihr gemeinsame Reisen und das Leben im Wohlstand schmackhaft machen. Ist das zu viel verlangt?«
»Genau das ist es, was ich vermeiden will und werde. I c h will mit dir reisen, deinen Reichtum genießen und deine Toleranz meinetwegen auch, obwohl es damit nicht weit her ist. Du nimmst mir alles weg, worauf ich als deine einzige Schwester ein Recht habe – und dabei soll ich dir helfen? Und dann soll ich auch noch nett zu dieser Frau sein, die hierherkommt und alles zerstört, was zwischen uns so wunderbar ist?«
»Nichts wird zwischen uns zerstört. Alles bleibt, wie es ist. Du kannst uns auf den Reisen begleiten, du behältst deinen Anteil am Reichtum, ich werde dich stets als meine einzige Vertraute behandeln. Aber ich bin ein Mann, und was ein Mann braucht, kannst du mir nicht geben.«
»Dann leg dir Freundinnen zu, wie du das in all den Jahren gemacht hast, in denen du allein warst. Da haben dir doch auch die Püppchen gereicht, die du kennengelernt hast. Warum geht das auf einmal nicht mehr? Was unterscheidet die Puppe vom Museum von all den anderen?«
»Du tust gerade so, als sei ich ein unersättlicher Frauenfresser, der seine Leidenschaft nicht im Zaum halten kann. Ich bin sehr wählerisch, meine liebe Greta, und diese Mary hat es mir nun einmal angetan. Sie ist so natürlich, so schlicht, so unberührt, ich kann ihr nicht widerstehen, und wenn du mir nicht bald hilfst, weiß ich nicht, was passiert.«
»Dann musst du schon selbst sehen, wie du zu deinem Recht kommst. Du bist doch sonst nicht ängstlich. Lass deine Muskeln spielen und klappere mit dem Geld, vielleicht hilft dir das. Auf mich kannst du jedenfalls nicht zählen.«
Die Stimmen wurden leiser, dann knallte eine Tür ins Schloss.
›So ist das also‹, dachte Mary entsetzt. ›Sie streiten sich immer noch um mich. Jetzt weiß ich endlich, warum diese Greta so unausstehlich zu mir ist. Sie ist ganz einfach eifersüchtig. Aber warum? Ich habe ihr doch wirklich keinen Anlass dafür gegeben.
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