Schottische Engel: Roman (German Edition)
dem plötzlichen Eintreffen seines Chefs in der Nacht, wünschte ihm einen guten Morgen und einen geruhsamen Aufenthalt.
Aber McClay ging nicht darauf ein. »Ich reise in einer Stunde ab. Sie machen alle Papiere fertig, die wir für das Filmprojekt in Hamburg brauchen, alle persönlichen Papiere für Auslandsreisen und alles, was wir sonst für die Arbeit brauchen. Dann nehmen Sie den Übersetzer mitsamt seinen Unterlagen, setzen sich in eine Maschine und fliegen nach Hamburg. Ich bin in zwei Tagen im Hotel ›Atlantic‹ zu erreichen. Und sagen Sie dem Mister Kennarth, ich will brauchbare Texte sehen. Ich will sofort mit den Vorbereitungen beginnen. Und noch etwas: Reservieren Sie zwei nebeneinanderliegende Suiten im Hotel für mich.«
Verblüfft sah der Sekretär seinen Chef an. Der Lord reiste also in Begleitung, das war seit Jahren nicht mehr vorgekommen. Als er einen Augenblick Zeit fand, suchte er den Chauffeur auf.
»Mann, Drumwold, der Chef reist in Begleitung. Hast du eine Ahnung, wer ...«
»Keine Ahnung.« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nur, wohin es geht, und da wir nach Deutschland fahren, finde ich, dass eine Fahrt nach Edinburgh, wo er zuerst hinwill, ein ziemlicher Umweg ist.«
XXI
Mary, noch immer müde von der Schlaftablette, ging in die kleine Küche und setzte die Kaffeemaschine in Gang. Dann duschte sie und versuchte erst mit heißem Wasser, dann mit kaltem einen klaren Kopf zu bekommen. ›Was hat David gesagt? Er holt mich ab, er ist um fünf Uhr unten an der Straßenecke, ich soll meine Sachen packen und meine Papiere mitnehmen. Himmel, wohin fährt er denn mit mir? Was hat er vor? Kann er sich nicht etwas genauer ausdrücken? Ich muss doch ins Museum, ich muss arbeiten. Ach, richtig, von Hamburg hat er gesprochen und von einem neuen Film.‹
Mary stellte das Wasser ab und rubbelte sich mit dem Frotteetuch trocken. Dann schlüpfte sie in ihren Morgenmantel und ging in die Küche. Der Kaffee war fertig, und die kleine Wohnung duftete nach dem köstlichen Aroma. Sie schenkte sich die Tasse ein, gab Milch und Zucker dazu und ging damit ins Wohnzimmer. ›Herrlich, wie gut das tut.‹ Dann nahm sie einen Zettel und einen Kugelschreiber und begann zu notieren: Museum anrufen, um Urlaub bitten, Wohnung aufräumen, Lebensmittel zu Thea bringen, alle Apparate ausschalten, Wasser abstellen, Balkon-Blumenkästen unten auf den Boden stellen, falls es einen Sturm gibt, Koffer packen, Pass und Kreditkarte nicht vergessen, Digitalkamera einstecken, Anrufbeantworter anstellen, Fenster und Türen schließen, Wohnungstür abschließen.
›So‹, dachte sie, ›das wird jetzt der Reihe nach abgehakt.‹ Es war eine Übung, die Mary immer erledigte, bevor sie eine Reise antrat. Sie wusste, dass sie die Hälfte vergessen würde, wenn sie sich nicht genau nach dem Plan richtete, und so legte sie den Zettel gut sichtbar im Flur auf das Garderobenschränkchen, wo sie spätestens vorbeigehen würde, wenn sie die Wohnung verließ.
Sie nahm sich eine zweite Tasse Kaffee und begann mit den Blumenkästen auf dem Balkon. Dabei warf sie einen vorsichtigen Blick auf die Straße. Unten standen zwei Autos, die dort nicht hingehörten. ›Also immer noch Reporter auf der Lauer! Die müssen früh aufgestanden sein, wenn sie jetzt schon hier unten warten.‹ Dann verschloss sie die Balkontür und legte den Sicherheitsriegel vor. ›Das wäre schon mal geschafft‹, dachte sie und sah auf die Uhr. ›Fast halb zehn, dann kann ich im Museum anrufen.‹ Sie wählte die Nummer und ließ sich mit Direktor Connor verbinden.
»Herr Professor, hier ist Mary Ashton, ich habe eine Bitte.«
»Was gibt's, Mary? Wir haben Sie schon vermisst.«
»Herr Professor, unten vor dem Haus lungern die Reporter, das ist nun schon der dritte Tag. Ich weiß nicht mehr, wie ich mich verhalten soll und was ich sagen kann und darf.«
»Soll ich jemanden vorbeischicken, der Sie abholt, Mary?«
»Eigentlich wollte ich um ein paar Tage Urlaub bitten, Herr Professor. Ich möchte raus aus der Stadt und würde gern zu meinem Bruder in die Hills fahren, um Abstand zu gewinnen. Wäre das möglich?«
Sie hatte keine Lust, ihm von ihrer Bekanntschaft mit dem berühmten David McClay zu erzählen, das gab nur unnützes Gerede, und so schob sie ihren Bruder vor.
»Wie lange wollen Sie denn fortbleiben, Mary?«
»Bis sich der Wirbel um den Engel gelegt hat, Professor Connor. Ich habe alles, was ich weiß, zu Protokoll gegeben, und die
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