Schottische Engel: Roman (German Edition)
Spiegel, Porzellan und Kleinkunst angeboten, und während sich Mary von einem Mitarbeiter durch die Räume führen ließ, unterhielt sich David, nicht so sehr an den einzelnen Teilen interessiert, mit Ferdinand Möller, dem Geschäftsinhaber. Ihn interessierte vor allem die Herkunft der Möbel.
»Ach, wissen Sie, die meisten Sachen in unserem Geschäft stammen aus dem Nachlass reicher Familien. Wenn ein Haushalt aufgelöst wird, haben die Hinterbliebenen fast immer Probleme mit den Hinterlassenschaften. Die gut situierten Erben haben selbst komplett eingerichtete Häuser und selten Platz für ererbte Möbel. So fragen sie uns, und meist sind die Sachen so alt und auch wertvoll, dass man so manches Stück bei Versteigerungen an wirkliche Interessenten abgeben kann.«
»Aber irgendwann müssen Ihre Lager doch voll sein.«
»Nun ja, aber meist gleicht sich das aus. Wir haben ja nicht nur die Geschäfte mit den Schaufenstern hier an der Straße, wir haben auch noch unsere Lager nach hinten hinaus. Obwohl ich sagen muss, die Prachtstücke stehen natürlich hier vorn.«
»Dürften wir auch einen Blick in Ihr Lager werfen, Herr Möller? Ich weiß nicht, ob meine Requisiteurin alles findet, was sie sucht, aber wenn Sie eine so große Auswahl haben, müssen wir nicht noch in anderen Geschäften suchen.«
»Selbstverständlich, wenn die gnädige Frau hier vorn nichts findet, können wir gern nach hinten gehen.«
Und so kam es, dass Mary, David McClay, Clark Brown und Ferdinand Möller nach dem offiziellen Geschäftsschluss das eigentliche ›Antic-Kaufhaus‹ von Herrn Möller verließen und in die Lagerhallen im Hinterhof gingen. Möller, der ein gutes Geschäft witterte, obwohl der Filmemacher nicht kaufen, sondern die Möbel nur ausleihen wollte, ließ aus einem nahegelegenen Restaurant ein kaltes Büfett servieren und unterhielt sich mit dem Schotten, während der Sekretär und die Requisiteurin mit einem Angestellten in den Hallen unterwegs waren.
Bis – ja, bis ein Schrei von Mary sie aufhorchen ließ.
Und dann stand Mary vor ihnen, leicht verstaubt und außer sich vor Glück. »Ich habe ihn, David, ich habe ihn.« Und ehe David fragen konnte, was um alles in der Welt sie habe, fiel sie ihm um den Hals, und Tränen der Freude liefen über ihre verschmutzten Wangen.
»David, ich habe den Engel gefunden«, schluchzte sie an seiner Schulter.
Etwas verwirrt kam Clark Brown aus dem Lager. Als er seinen Chef mit Mary im Arm sah, hob er ratlos die Schultern und schüttelte den Kopf, als wolle er sagen: »Tut mir leid, aber sie hat den Verstand verloren.«
David, selbst etwas erschrocken, schob Mary ein Stückchen von sich, um ihr ins Gesicht sehen zu können. »Was hast du gefunden, Mary?«
»Ich habe den schottischen Engel gefunden. Den echten, David. Komm mit, ich zeige ihn dir.«
Etwas ratlos sah der Lord den Antiquitätenhändler an. »Haben Sie auch einen Engel in Ihrem Sortiment?«
Ferdinand Möller zuckte mit den Schultern. »Kann sein, irgendwann hatten wir mal einen Engel, aber der ist entzwei, ich dachte, meine Leute hätten ihn längst entsorgt.«
»Bitte, kommen Sie mit«, bat Mary und zu David gewandt: »Er ist es wirklich, ich habe ihn sofort erkannt.« Sie folgten Mary durch zwei kleine Hallen in eine Art Schuppen auf dem Hinterhof. Eine offene Brettertür mit einem Schloss, das sich nicht mehr schließen ließ, ein Dach aus Wellblech, ein paar zerbrochene Stühle und ein paar gestörte Mäuse. »Komm, David, bitte komm mit.«
Im Halbdunkel des Schuppens kämpfte Mary sich in eine Ecke voller Gerümpel, und das Erste, was David sah, war eine prophetisch erhobene Holzhand. Er nahm Marys Arm und hielt sie zurück. »Bist du sicher, Mary?«
»Ja, natürlich, komm mit. Von der anderen Seite siehst du den Engel in seiner vollen Größe. Er ist wunderschön, wirklich einmalig « Sie schluchzte schon wieder. David sah den Händler an. »Könnten wir ihn mal bei Tageslicht sehen?«
»Selbstverständlich, aber er ist zerbrochen, soviel ich weiß.«
»Macht nichts.«
Und so krochen Ferdinand Möller und sein Angestellter hinter den Holzstapel und holte den Engel Gabriel – in zwei Teilen – aus dem Müll.
In jedem Arm einen halben Engel, kam Herr Möller zur Türöffnung. Entschuldigend erklärte er, »ein paar Matrosen haben ihn vor einigen Jahren gebracht. Sie wollten ein altes Segelschiff wieder seetüchtig machen und den Engel als Galionsfigur vorn am Bugspriet befestigen. Dazu wollten sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher