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Schottische Engel: Roman (German Edition)

Schottische Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schottische Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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du gedacht.« Er war enttäuscht, das hörte sie deutlich.
    »Lass mir noch ein bisschen Zeit.«
    »Ach, ihr Frauen, immer braucht ihr Zeit, nie könnt ihr spontan reagieren.«
    »Entschuldige, aber wenn es um lebensentscheidende Fragen geht, kann ich nicht spontan reagieren.« Sie legte ihre Hand auf seine. »Ganz spontan wäre ich in der Nacht mit dir ins Bett gegangen, David, aber das wolltest du nicht. Du wolltest ein langes Gespräch und entscheidende Antworten, und für die war ich nicht gerüstet. Ich war auf Gefühle eingestellt und nicht auf Probleme, das musst du verstehen.«
    »Ich verstehe dich ja, aber ich wollte deine Gefühle nicht verletzen und eine Wahrheit verschweigen, die für mich sehr wichtig ist. Worin liegen denn die Probleme für dich, mein Liebling?«
    Bestürzt sah Mary ihn an. Hatte er denn überhaupt nichts verstanden, wusste er denn nicht, wie sehr er sie getroffen hatte, mit seinem Wunsch, seine Frau zu werden, damit er einem Gericht seine intakte Familie präsentieren konnte? »David, ich möchte nicht hier am Frühstückstisch darüber mit dir sprechen. Bitte!«
    »Ja, natürlich, es ist nicht der geeignete Ort, um über Gefühle zu diskutieren.« Er stand auf. »Wir sehen uns dann heute Mittag, ich hole dich zum Essen ab.« Und schon war er fort.
    ›Jetzt habe ich ihn verärgert‹, dachte Mary, beendete ihr Frühstück, nahm ihre Tasche und das Manuskript und zog sich in ihre Suite zurück. Sie wusste inzwischen, David war ein rigoroser Arbeiter, wenn ihn ein Thema gepackt hatte, und wenn sie mit ihm Schritt halten wollte, musste sie sich seinem Tempo anpassen.
    Sie überflog die Manuskriptseiten, machte sich Notizen über Räumlichkeiten, Einrichtungen, zeitgemäße Kutschen und sonstige Verkehrsmittel, über die Kleidung der feinen Gesellschaft und der armen Bevölkerung, über Freizeitvergnügungen und sportliche Veranstaltungen. Dann verglich sie die Notizen mit der Liste der Möbel und Geräte, die sie bei Ferdinand Möller aufgestellt hatte, und merkte, dass das Inventar, das sie bei Möller gefunden hatte, bei Weitem nicht ausreichte. ›Was nützt mir ein stilechter Stuhl, wenn ich zwölf davon brauche?‹, überlegte sie. ›Was fange ich mit einem echten Kronleuchter an, wenn in jedem Saal einer hängen muss?‹ Sie machte sich weitere Notizen, unterstrich die Fragen mit einem dicken Rotstift und hoffte, dass David als erfahrener Produzent Antworten wüsste.
    Es war fast Mittag, als sie mit ihrer Arbeit fertig war. Sie stand auf und sah aus dem Fenster. Das Wetter war unverändert. Von dem See vor dem Hotel war kaum etwas zu sehen. Der Nieselregen und die Nebelschwaden über dem Wasser verbargen das andere Ufer, und sie dachte an den Roman, den sie nun etwas kannte. Genau hier, an dieser Stelle, damals ein mit Unkraut bewachsenes Stück Uferland, stand Abend für Abend eine der Hauptpersonen und wartete auf den Fährmann, der sie ans gegenüberliegende Ufer bringen sollte.
    ›Richtig‹, dachte Mary, ›um Bootstypen muss ich mich auch kümmern, aber dazu müssen wir noch einmal in den Museumshafen fahren. Hoffentlich bei besserem Wetter.‹
    Es klopfte an der Tür. »Herein.«
    Ein Page stand im Türrahmen und bat: »Gnädige Frau, Sie werden im Restaurant erwartet.«
    »Danke. Ich komme gleich.«
    ›Oha‹, dachte Mary, ›David ist wirklich sehr verärgert. Er kommt nicht einmal herauf, um mich abzuholen. Hm, da muss ich nun durch.‹ Sie zog eine frische Bluse an, legte sich den Pulli nur um die Schultern, kämmte ihr Haar noch einmal und legte etwas Rouge auf. Lippenstift benutzte sie nie. Sie stand auf dem Standpunkt, ein mit roten Lippen verziertes Gesicht wirkt angemalt, ein geschminktes Gesicht ohne Lippenstift wirkt natürlich. ›Ich brauche keine Farbpalette, um einigermaßen gepflegt auszusehen. Nur eben so ein bisschen Rouge, das die schlaflose Nacht und die grauen Gedanken vertreibt, ist angebracht.‹ Dann fuhr sie nach unten und ging hoch erhobenen Hauptes durch das Foyer und in den Speisesaal.
    Sie sah David McClay sofort, und sie sah die Dame an seinem Tisch, eine attraktive, elegante, rothaarige Frau, die besitzergreifend eine Hand auf seinen Arm gelegt hatte.
    Marys Herz machte einen Satz, und hundert Schmetterlinge in ihrem Bauch erinnerten sie daran, dass sie diesen Mann liebte.
    Als er sie sah, stand David auf, verbeugte sich leicht vor ihr und zog ihr den Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte. Dann stellte er ihr die Dame vor. »Mary, darf

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