Schottische Engel: Roman (German Edition)
auf. Da war es gerade sieben Uhr. Sie ging zum Fenster und zog die Vorhänge zurück. Draußen empfing sie ein neblig-grauer Tag mit Sprühregen und Autos auf nassem Asphalt, die mit Scheinwerferlicht unterwegs waren.
›Das Wetter passt zu meiner Stimmung‹, dachte sie und rief den Zimmerservice an. Als das Mädchen klopfte, bestellte sie Tee und gebutterten Toast. »Ich frühstücke später, aber jetzt brauche ich etwas zum Munterwerden«, erklärte sie und suchte sich, zum Wetter passend, Hose, Bluse und Pullover aus dem Schrank. Als sie geduscht und das Haar gewaschen hatte, fühlte sie sich etwas besser, und als sie mit dem Föhn das nasse Haar trocknete, überlegte sie ihre nächsten Schritte. ›Ganz gleich, was kommt, als Erstes muss der Engel nach Schottland transportiert werden. Dabei muss mir das Museum helfen, denn mit dem Zoll für Antiquitäten, mit Aus- und Einfuhrbestimmungen kenne ich mich nicht aus. Und David soll nicht denken, dass ich in allen Dingen von ihm abhängig bin. Ach, David!‹ Und schon überfielen sie wieder die Erinnerungen an die letzte Nacht, die so schön begonnen und so enttäuschend geendet hatte.
Aber daran wollte sie jetzt nicht denken. Entschlossen schob sie die Gedanken fort, trank ein paar Schlucke Tee und aß von dem Brot. Dann wusste sie, was sie tun würde. Sie holte ihr Telefonbuch aus der Tasche und wählte die Privatnummer von Robert Connor. Während der Apparat im fernen Edinburgh läutete, entschuldigte sie sich im Stillen für den frühen Anruf, denn aufgrund der Zeitverschiebung war es gerade sieben Uhr in Schottland.
Endlich meldete sich die Haushälterin des Professors, und als Mary sie bat, den Professor sprechen zu dürfen, erhielt sie eine strikte Absage. »Aber es ist äußerst wichtig, ich würde mir nie erlauben, den Herrn Professor so früh anzurufen, wenn es nicht so dringend wäre. Bitte, verbinden Sie mich mit ihm.« Im Hintergrund hörte sie eine männliche Stimme, dann ein Räuspern und die Frage: »Hallo, was ist denn los?«
»Herr Professor, hier ist Mary Ashton, ich rufe aus Hamburg an, und ich bitte vielmals um Entschuldigung für die frühe Störung. Aber ich habe den dritten Engel gefunden, in einem Trödelladen. Und er ist entzwei, aber er ist echt, Professor. Bitte, helfen Sie mir, ihn so schnell wie möglich nach Schottland zu transportieren.«
»Himmel, Mary Ashton, was machen Sie denn in Hamburg? Und wem gehört dieser Engel?«
»Ich habe doch ein paar Tage Urlaub von Ihnen bekommen, und da habe ich einen Sprung nach Deutschland gemacht. Und der Engel gehört mir. Ich habe ihn in einem Haufen zerbrochener Möbelteile entdeckt, und der Händler hat ihn mir geschenkt, weil er nicht wusste, was er mit ihm anfangen sollte. Aber ich fürchte, wenn er merkt, wie wichtig die Skulptur für uns ist und wie wertvoll, will er ihn vielleicht zurückhaben.«
»Dann bringen Sie ihn doch schleunigst her, Mary.«
»Aber das kann ich nicht. Ich kenne doch die Zollbestimmungen und die Transitrechte von Antiquitäten nicht.«
»Tja, das stimmt, damit habe sogar ich Schwierigkeiten. Haben Sie denn einen Beweis, dass der Engel Ihnen wirklich gehört, ich meine eine Schenkungsurkunde oder etwas Ähnliches?«
»Nein, habe ich nicht. Es war eine ganz spontane Handlung, und ich war so froh, den Engel gefunden zu haben, dass ich daran nicht gedacht habe.«
»Können Sie so eine Quittung noch bekommen?«
»Ich werde es versuchen, der Händler war sehr nett, und ich glaube, er war sogar froh, den Engel los zu sein.«
»Dann besorgen Sie so eine Bescheinigung, und ich schicke Mister Perband, unseren Chefeinkäufer bei Auslandsgeschäften, nach Hamburg, der sich mit diesen Bestimmungen auskennt und alle nötigen Papiere für den Zoll mitbringt. Er kann heute Abend in Hamburg sein. Wo erreicht er Sie?«
»Ich wohne im Hotel ›Atlantic‹.«
»Donnerwetter, nobel, nobel.«
»Ich bin eingeladen worden.«
»So, so! Also, Mary, bevor der ganze Aufwand beginnt: Sind Sie wirklich sicher, dass es diesmal der echte Titurenius-Engel ist?«
»Ja, Professor Connor, ganz sicher.«
»Gut, dann ran an die Arbeit. Sie besorgen sich eine Schenkungsurkunde, und ich schicke Ihnen den Transporteur.«
Das Gespräch war beendet. Mary setzte sich und goss sich noch eine Tasse Tee ein, dabei spürte sie, wie ihre Hände zitterten.
›Eine Schenkungsurkunde. Woher bekomme ich eine Schenkungsurkunde?‹, überlegte sie. ›Wenn ich mit der Bitte zu Herrn Möller gehe, wird
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