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Schottische Engel: Roman (German Edition)

Schottische Engel: Roman (German Edition)

Titel: Schottische Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Canetta
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und zog seinen Zylinder, wenn Leute kamen oder gingen. Einmal bekam Joan fast einen Lachanfall, als ein Lieferwagen der Lufthansa vorfuhr und ein großer altmodischer Schrankkoffer ausgeladen wurde.
    ›Mein Gott, wer reist denn heute noch mit solch einem Ungetüm?‹, dachte sie und beobachtete den Mann, der zu dem Koffer gehörte. Ein Brite, wie sie feststellte, aber was er an der Rezeption sagte, konnte sie nicht verstehen. Dann setzte sich der Fremde in einen der Sessel neben der Treppe, und ein Page schob den Koffer mit seinem Rollwagen hinter den Gast. Der Fremde bestellte Tee und Sandwiches, und Joan wurde neugierig, denn der Mann sah akzeptabel aus, war gebildet, wirkte zwar etwas hilflos, aber im Vergleich zu seinem alten Koffer durchaus elegant.
    Sie wartete ein paar Minuten, ob sich jemand zu ihm setzen würde, dann stand sie auf, schlenderte durchs Foyer und blieb bewundernd vor dem Schrankkoffer stehen. »Mein Gott, mit so einem Ungetüm ist meine Großmutter zwischen Indien und London hin- und hergereist«, log sie und umrundete den Koffer. »Dass es so ein Relikt aus der guten alten Zeit noch gibt. Wird so ein Koffer im Flugzeug überhaupt transportiert?«, fragte sie interessiert und setzte sich wie selbstverständlich in den zweiten Sessel.
    Der Fremde lächelte. »Normalerweise nicht, aber Ausnahmen gibt es schon.«
    »Im Koffer meiner Großmutter war die eine Hälfte mit Schubladen ausgefüllt, sie konnte ihre Wäsche hineinlegen wie in ihre Kommodenschubladen, und in der anderen Hälfte hingen ihre Kleider«, phantasierte Joan neugierig weiter. »Ist das in Ihrem Koffer auch so? Ich finde das ungeheuer praktisch. Man stellt den Koffer vor sich hin und öffnet ihn wie einen Schrank.«
    »Deshalb nennt man ihn Schrankkoffer«, bestätigte der Fremde höflich.
    »Und die Schubladen, hat Ihr Koffer die auch?«
    Der Fremde lachte. »Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich den Koffer jetzt öffne und Ihnen den Inhalt zeige?«
    »Nein, natürlich nicht.« Auch Joan lachte. »Wohnen Sie auch hier im Hotel ›Atlantic‹?«
    »Ja, vermutlich.«
    Verblüfft sah sie ihn an. »Sie wissen nicht, ob Sie hier wohnen? Und dann mit einem so umständlichen Gepäckstück? Das passt doch nicht einmal in ein Taxi.«
    »Ich habe Verpflichtungen in dieser Stadt, da ist es ziemlich gleichgültig, in welchem Hotel ich wohne.«
    »Bleiben Sie ruhig hier, es soll das beste Haus am Platz sein.« Sie wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern fuhr gleich fort: »Und vielleicht trifft man sich ja einmal? Ich heiße übrigens Joan.« Sie reichte ihm die Hand. Der Fremde stand höflich auf und verbeugte sich: »Walter Perband.«
    »Werden Sie länger in Hamburg sein?« Sie sah ihm vielversprechend in die Augen.
    »Das hängt von Verhandlungen ab, die ich hier führen muss.« Die Neugier der Frau ging ihm langsam auf die Nerven. Sie sah sehr attraktiv aus, und er fühlte sich sogar ein bisschen geschmeichelt, dass eine so elegante Dame hier mit ihm redete, aber ihre Neugier wurde ihm lästig, und außerdem fing sie an, mit ihm zu flirten, und darauf war er überhaupt nicht eingestellt. Er hatte einen wichtigen Auftrag und keine Zeit für nutzlose Redereien.
    Joan schlug die langen Beine übereinander, und der schmale, kurze Rock zeigte mehr, als angemessen war. Und obwohl Walter Perband versuchte, nicht in die Richtung ihrer freizügigen Zurschaustellung zu sehen, konnte er kurze, heimliche Blicke nicht verhindern.
    Joan spürte ein angenehmes Prickeln auf der Haut und erwischte hin und wieder einen Blick in seine Augen. ›Er sieht gut aus‹, dachte sie, ›er scheint wohlhabend zu sein, sonst würde er hier nicht absteigen, auch wenn es nur vorübergehend wäre. Ein Flirt mit einem anderen Mann kann meiner Beziehung zu David nur guttun‹, überlegte sie und wechselte die Stellung ihrer Beine, sodass der Rock sich noch ein wenig mehr verschob. ›Nur wirklich lange, schlanke Beine kann man elegant übereinanderschlagen‹, dachte sie zufrieden, ›alles andere sieht einfach ordinär aus.‹
    Sie sprachen über das Wetter, die Stadt, die Reisemöglichkeiten, den Zimmerservice und die Chancen, sich in einem guten Hotel näher kennenzulernen.
    Nach einer guten Stunde wurde ihr Gepäck gebracht. Aber Joan dachte nicht daran, ihren Platz an der Seite des gut aussehenden Briten zu verlassen. Sie winkte einen Pagen heran und befahl ihm, das Gepäck in ihr Zimmer zu bringen. Dann bezahlte sie die Rechnung des anderen Hotels und

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