Schottisches Feuer
Jeannie vergessen, wie es sich anfühlte, im Mittelpunkt übler Nachrede zu stehen.
Also entschuldigte Jeannie sich, straffte die Schultern, reckte das Kinn und ging hinüber zu dem Mädchen, das sich alle Mühe gab, so zu tun, als wüsste sie nicht, dass alle über sie flüsterten.
Obwohl Duncan sich mit seinem Cousin unterhielt, bemerkte er am Rande, dass das Stimmengewirr im Saal stärker wurde. Die flüsternden Stimmen rauschten wie Blätter, die von einem Windstoß aufgewirbelt wurden. Und Grants Tochter schien sich mitten im Auge des Sturms zu befinden.
Nachdem er sie dabei ertappt hatte, wie sie ihn mit solch erfrischender Freimütigkeit anstarrte, wollte er zu ihr gehen – trotz der Tatsache, dass sie nicht länger bei ihrem Vater stand.
Doch dann hatte sie offensichtlich etwas aufgebracht, und sie war sehr entschlossen zu einer anderen jungen Frau hinübermarschiert.
Das Merkwürdige war, dass sich niemand sonst zu ihnen gesellte.
»Hast du eigentlich irgendetwas von dem gehört, was ich gerade gesagt habe?«, fragte Argyll, und die Verärgerung in seiner Stimme drang tatsächlich bis zu Duncan durch.
»Was geht da drüben vor sich?«, erwiderte er, wobei er auf die zwei Mädchen deutete.
Ironisch zog Argyll eine Augenbraue hoch. »Ich dachte, du magst keinen Klatsch.«
Duncan bedachte seinen Cousin mit einem harten Blick; er wusste genau, dass er Klatsch verachtete.
Da Duncan auf seine Stichelei nicht anbiss, zuckte Archie kopfschüttelnd die Schultern. »Nur der neueste Skandal am Hofe. Offensichtlich hatte eine der Hofdamen der Königin beim Zubettgehen ihre Kerze zu dicht an die Bettvorhänge gestellt. Das Feuer konnte zwar schnell gelöscht werden, doch es verursachte ziemliche Aufregung. Als die Diener ins Zimmer stürzten, um den Brand zu löschen, war die Lady splitternackt.« Der junge Earl machte eine dramatische Kunstpause. »Zu ihrem Unglück war der Mann in ihrem Bett nicht ihr Ehemann.«
»Und was hat das mit den Mädchen zu tun?«
»Die Dunkelhaarige ist ihre Schwester, Lady Catherine Murray.« Archie beobachtete ihn aufmerksam – zu aufmerksam. »Die andere ist Grants Tochter. Aber ich vermute, das weißt du bereits.«
Duncan warf ihm einen bezwingenden Blick zu, dann wurden seine Augen schmal. Also wurde die Schwester geschnitten und Grants Tochter hatte sich entschlossen, für sie einzustehen. Alle Achtung!
»Ungewöhnliche Gesellschaft«, bemerkte Archie. »Man sollte meinen, dass Grants Tochter eine Verbindung mit ihr lieber meiden würde.«
»Wie meinst du das?«
»Erinnerst du dich nicht mehr an Grants Frau? Sie verursachte ein ganz schönes Aufsehen, als sie mit diesem Engländer durchbrannte.«
Duncans Blick wurde hart, und er schluckte die Wut hinunter, die in ihm aufwallte. Er verstand nur zu gut. »Stell mich ihr vor«, sagte er.
Aufmerksam sah sein Cousin ihn an. »Warum?«
Duncan drehte sich zu ihm um. »Weil du Lady Catherine zum Tanz auffordern wirst.«
Archie gab sich keine Mühe, seine Belustigung zu verbergen. »Und warum sollte ich wohl etwas so Edelmütiges tun wollen?«
Um Duncans Mundwinkel zuckte es. »Weil du eben ein edelmütiger Mann bist.« Er machte eine kurze Pause. »Ich muss dich nur ab und zu daran erinnern.«
Es war entsetzlich. Niemand redete mit ihnen. Jeannie konnte deutlich sehen, wie es der zerbrechlichen Haltung des anderen Mädchens zusetzte. Sie wusste aus Erfahrung, dass ihr Stolz das Einzige war, was Lady Catherine noch davon abhielt, in Tränen auszubrechen.
All die Erinnerungen an jene Jahre nach dem Skandal um ihre Mutter brachen heiß und schmerzhaft wieder über sie herein. Die Schmach. Die Scham. Die Einsamkeit.
Doch dann sah sie auf, und er stand vor ihr – Duncan Campbell – und mit ihm sein Cousin, einer der mächtigsten Männer Schottlands.
Sie hörte kaum, wie Argyll sie einander vorstellte, weil sie den Blick von dem Mann, der vor ihr stand, nicht abwenden konnte, ebenso wenig hielt sie die Welle der Dankbarkeit zurück, die ihm entgegenströmte.
Das hier war sein Werk. Das wusste sie.
Gütiger Gott, aus der Nähe betrachtet war er sogar noch beeindruckender. Die Kombination aus blauen Augen und schwarzen Haaren war atemberaubend. Scharfe Kanten und glatte Flächen formten seine gut aussehenden Züge. Die Aura von Autorität und Kontrolle täuschte – er war jünger, als sie zuerst geglaubt hatte, vielleicht nur ein paar Jahre älter als sie.
Und er war groß, viel größer, als ihr bewusst gewesen war.
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