Schrecken der Nacht
hatten ihre Lockerheit verloren. Von zwei Seiten wurde ich angeschaut und um eine Erklärung gebeten.
»Möchtest du noch einen Grappa?« fragte Bill. »Du siehst etwas blaß aus, mein Lieber.«
»Eigentlich nicht.«
»Ach, komm. Das war keine nette Plauderei. Das ist es bei Vampiren ja nie.«
Ich stimmte zu, und Bill schenkte mir noch einen zweiten Schluck ein, allerdings nicht mehr so groß wie der erste. Ich trank nur die Hälfte und erstattete dann einen genauen Bericht.
Sheila und Bill hörten aufmerksam zu, und beide blieben auch ernst, denn sie nahmen den Anruf aus Rumänien keinesfalls auf die leichte Schulter.
»Ein Vampir in Cannes, Nizza oder St. Tropez. Bei den Reichen und Schönen.« Bill schüttelte den Kopf. »Das ist schon was. Das muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.«
»Höre ich Reiselust aus deiner Stimme?« erkundigte sich Sheila vorsichtig.
»Soweit sind wir noch nicht«, sagte ich. »Aber ich denke schon, daß sich Marek nicht aus den Fingern gesogen hat, was er erzählt hat. Es wird diesen Eros geben. Dieser Schrecken der Nacht hat sich ein ideales Betätigungsfeld ausgesucht. Eine bessere Tarnung kann es für ihn kaum geben. Und wir müssen davon ausgehen, daß er sich als Mittelding zwischen Mensch und Vampir auch tagsüber gut bewegen kann. Er braucht das Licht der Sonne nicht zu scheuen. Darüber müssen wir uns im klaren sein.«
Bill nickte.
Sheila aber meinte: »Das hört sich an, als wärst du schon bereit, die Reise nach Südfrankreich anzutreten?«
»Ja, bin ich auch.«
»Wann?«
»So rasch wie möglich. Ich habe mir das Wochenende zwar anders vorgestellt, aber in diesem Fall muß ich ran. Ich muß auch wissen, ob es dieses Phänomen tatsächlich gibt. Tagsüber Mensch, in der Nacht Vampir. Da stehen ihm alle Möglichkeiten offen.«
»Das sehe ich ebenso«, sagte Bill.
Sheila atmete tief durch und sah aus, als wollte sie sich im Stuhl hochstützen. »Okay, Bill, du bist ja nicht mein Sklave, ich kann dir nichts befehlen. Ich denke, daß ihr beide morgen früh die erste Maschine nehmt, die nach Nizza fliegt, falls noch zwei Plätze frei sind. Ich möchte nicht mit.«
»Das wird auch kein Urlaub«, sagte ich.
»Bei euch sicherlich nicht.«
»Und was sagst du Marek?« fragte Bill.
»Die Wahrheit. Ich rufe ihn an und informiere anschließend Sir James. Ich möchte auch, daß die französischen Kollegen Bescheid wissen.«
»Glaubst du, daß dieser Eros seine Spuren in Nizza hinterlassen hat?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Ja und nein. Wenn er zuerst das Blut trinkt und seine Opfer dann pfählt, um sie anschließend verschwinden zu lassen, wird man nichts festgestellt haben. Der Schrecken der Nacht ist ein Einzelgänger. Der macht sich von keinem abhängig und geht seinen eigenen Weg. Das steht für mich fest.«
»Was ist mit Mallmann?«
Ich winkte ab. »Vergiß ihn, Bill. Mallmann wird ihm nicht in die Quere kommen, wenn er sich geschickt verhält. Das traue ich ihm ohne weiteres zu.«
»Was wollt ihr denn mit Marek machen?« fragte Sheila. »Soll er auch nach Südfrankreich kommen?«
»Sicher«, sagte ich. »Das muß einfach so sein. Er hat uns auf die Spur gebracht. Er würde uns verdammen, wenn er nicht mit von der Partie ist. Einmal ist ihm der Schrecken der Nacht entkommen. Er wird sich rächen wollen, endlich abrechnen, und das müssen wir ihm zugestehen. Ich rufe ihn an, damit er so schnell wie möglich zum Flughafen fährt.«
»Da haben wir es näher.«
»Stimmt.« Ich lächelte Bill zu. »Aber glaube mir eins. Wenn Marek einmal Blut geleckt hat, ist er nicht mehr zu halten. Da sind dann die Zeit und der Schlaf das Unwichtigste auf der Welt für ihn...«
***
Es war der perfekte Abend.
Die Wärme, der Wind, die untergehende Sonne und das weite Meer, das vor den Menschen lag wie ein gewaltiger und nie zu stoppender Motor, der immer wieder den Kreislauf der Wellen anheizte und sie aus der Unendlichkeit heraus in Richtung Strand schob, wo sie dann auf dem feinen Sand schäumend ausliefen.
Es gab nicht wenige Menschen an der südfranzösischen Küste, die diesen Anblick genossen. Sie saßen auf den Terrassen der Hotels oder vor den Bars am Strand. Es war ihnen auch gleichgültig, daß die Preise für Getränke immens hoch waren, denn das Geld spielte hier keine Rolle. Man hatte es, und man gab es auch aus.
Die Küste war voll. Cannes, Nizza, St. Tropez, die Orte, die in den Sommermonaten Scharen von Menschen anzog. Man genoß, man produzierte
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