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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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sich ein Auto besorgen, dachte er, entweder von einer Zapfsäule oder von demjenigen, der dort arbeitete. Das spielte keine Rolle. Er würde nehmen, was kam.
    ***
    Am Morgen war gar nichts gewesen, nur der tote Junge. Jetzt war da das Mädchen. Hunt war durchs Bein geschossen worden, aber er hatte das Mädchen und ihren Magen voller Heroin. Er konnte sich nicht entscheiden, ob irgendetwas davon etwas Gutes gewesen war. Das Hinken wurde schlimmer, aber Hunt ging weiter. Er konnte spüren, wie sich das Blut in seinem Schuh sammelte. Der Regen fiel immer weiter, und das Haar lag ihm verfilzt, platt und nass auf der Stirn. Bei jedem Schritt erschlaffte sein Gesicht und spannte sich dann wieder. Er dachte an Nora. Er dachte an die Pferde, an das Haus und an alles, was auf ihn wartete, wenn das hier vorbei war. Hinter ihm das Mädchen. Ihm war klar, dass sie einen Anteil an all dem hatte. Ein Recht darauf. Doch darüber konnte er jetzt nicht nachdenken. Wie ein Erforscher neuer Welten dachte er nur daran, was als Nächstes kam, was für neue Überraschungen auf ihn warteten. Für etwas anderes war keine Zeit. Die Wunde in seinem Unterschenkel pochte, als er weiterstolperte, seine Beine fühlten sich so wabbelig an wie Gelatine.
    Es gab keine Straßenbeleuchtung, nur das Licht von den Häusern. Als seine Bewegungen den gelben Schein eines Flutlichts auslösten, folgte er ihm zu dem betreffenden Haus. Er ging die Einfahrt hinauf; das Mädchen folgte ein paar Schritte hinter ihm.
    »Hab keine Angst«, sagte er zu dem Mädchen. Sie blieben einen Augenblick im Lichtschein stehen, und Hunt konnte fühlen, wie sein Bein unter ihm pulsierte.
    »Ich kein Angst«, antwortete das Mädchen. »Niemals Angst.«
    Er konnte einen kleinen Striemen auf ihrer Wange erkennen, den er bisher nicht bemerkt hatte. »Wir brauchen ein Auto, aber zuerst müssen wir diese Dinger aus dir rauskriegen.«
    Die junge Vietnamesin sah verwirrt aus. Hunt legte die Hand auf seinen Bauch und zeigte dann auf das Mädchen. Sie nickte.
    Als liefe es auf diesen Touren immer so ab, zeigte sie sich kaum überrascht. So wie sie sich benahm, dachte Hunt, könnte dies ihre zehnte Reise sein, aber vielleicht war es auch ihre erste. Entweder war sie halb von Sinnen vor Angst oder härter im Nehmen als alles, was Hunt bisher begegnet war. Er streckte die Hand aus und stellte sich vor. »Phil.«
    Das Mädchen sah ihn an. Für sie sah er bestimmt lächerlich aus, krumm von den Schmerzen im Bein, ein bisschen o-beinig vom Reiten und gealtert von der Sonne und einer Reihe trauriger Jahre. Wahrscheinlich wirkte er für sie mehr wie ein Sechzigjähriger, obwohl seine Muskeln immer noch so stark waren wie die eines jungen Mannes.
    Sie nahm seine Hand und sagte: »Thu.« Überall fiel der Regen herab, und ihr Hemd und ihre Hose waren fast völlig durchnässt.
    Hunt betrachtete sie und versuchte, sich darüber klarzuwerden, was sie gerade gesagt hatte. Er wiederholte es, und sie sagte es noch einmal, und dann ließ Hunt ihre kleine Hand los und sie gingen weiter.
    ***
    Der Tankwart stand starr, aufrecht auf den Zehenspitzen, gehalten durch die Spitze von Gradys Kochmesser mit der dreißig Zentimeter langen Klinge. Blut quoll unter der Messerspitze hervor. Ein Mann Mitte dreißig, mit rosiger Haut und braunem Pferdeschwanz; er trug ein grünes Polohemd mit dem Logo der Tankstelle links auf der Brust. Popmusik drang leise aus den Lautsprechern über ihnen. Ein Blutstropfen sammelte sich am Kinn des Mannes und fiel zu Boden. Noch am Leben. Grady spürte jenen Drang in seinem Innern, das Kitzeln am Hirnstamm, das ihn zu Dingen trieb, gegen die er machtlos war. Das Messer unter dem Kinn des Tankwarts, Pupillen, die sich um einen klaren Fokus bemühten, die dunklen Mauern des Tunnelblicks, die sich um sein Leben schlossen.
    Mit einer einzigen Bewegung stieß Grady die Klinge aufwärts in die Haut unter dem Kinn, durch den weichen Gaumen und ins Gehirn. Ein leises Zittern durchzog das Gesicht des Tankwarts, als Grady das Messer drehte und sein Gehirn zerfetzte. Das warme Blut des Mannes kam das Messer herabgetropft, auf Gradys Hand im Handschuh und auf den Ärmel seines Sweatshirts.
    Das Gewicht des fallenden Toten löste ihn von dem Messer, und Grady ging um den Tresen herum. Wie ein Barbier, der einen Kunden auf eine Rasur vorbereitet, säuberte er das Messer an der Schulter der Uniform des Tankwarts. Aus den Taschen des Toten holte er ein kleines Feuerzeug, eine halbleere Packung

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