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Schreckensbleich

Schreckensbleich

Titel: Schreckensbleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Urban Waite
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seiner freien Zeit tat, Tag für Tag üben. Die Vorrichtung war so eine Kleinigkeit, die er selbst entworfen hatte, und er war stolz, wenn er sie benutzte. Als er jetzt von dem Messer aufblickte, sah er, dass das Mädchen ihn beobachtete. Er lächelte. Das Mädchen schaute weg. Er wusste, was sie wahrscheinlich gedacht hatte, er mit gebeugtem Ellbogen und dem Unterarm auf dem Schoß.
    Er verstaute das Messer im Ärmel und schloss den Koffer. Dann öffnete er die Wagentür, und die Innenbeleuchtung ging an. Er sah sich auf dem Parkplatz um, stieg dann aus und schlug die Tür zu, während der Wind in seinen Kleidern raschelte. Der Fluss war deutlich zu hören, ein Rauschgeräusch aus Wasser und Felsen. Jenseits des Parkplatzes konnte er die sporadischen Grasflecken zwischen dem Schotterbelag und den grünen, dichtbelaubten Johannisbeerbüschen direkt am Fluss sehen. Etwas weiter den Fluss hinauf, am anderen Ufer, stand eine Reihe Weiden. Grady zog sein Hemd zurecht und ging das kleine Stück bis zu dem Kaffeekiosk. Das Mädchen schob die Glasscheibe zurück und sah ihm entgegen.
    »Kaffee«, sagte er.
    Das Mädchen betrachtete ihn. Sie war ein zierliches Ding, mit braunem, glattgekämmtem, schulterlangem Haar. »Welche Größe?«
    »Medium, schwarz.«
    Das Mädchen wandte sich ab und füllte den Becher für ihn.
    »Wann wird es hier dunkel?«, wollte er wissen.
    Das Mädchen drückte einen Deckel auf den Becher. Sie reichte ihn Grady nach draußen. »Es ist doch schon dunkel«, meinte sie.
    »Entschuldigung«, sagte Grady. »Ich meine, richtig dunkel. Wird es hier richtig dunkel? So, dass man ohne Lampe die Hand nicht mehr vor Augen sehen kann?«
    »Manchmal«, antwortete das Mädchen. Sie sah verwirrt aus.
    Grady streckte die Hand aus und betrachtete sie. Er spürte das Messer unter der Manschette seines Ärmels. »Das finde ich toll«, sagte er. »In der Stadt hat man das nicht oft, da ist immer zu viel Licht.«
    »Normalerweise kann man die Sterne sehen, und mit denen und dem Mond ist es ganz schön hell. Viel mehr gibt’s hier draußen nicht. Nicht so wie in der Stadt.« Sie tippte Zahlen in ihre Kasse ein und nannte ihm die Summe.
    Grady wühlte einen Geldschein aus der Tasche und gab ihn ihr. Das Wechselgeld warf er in die Trinkgeldbüchse. »Was glaubst du, wie es heute Nacht sein wird?«, fragte er. Er hielt den Kaffeebecher im rechten Winkel von sich gestreckt, und das Mädchen beugte sich über den Tresen, um einen Blick auf den Himmel zu werfen. Jetzt konnte er ihren Duft riechen, eine Mischung aus Äpfeln und Weichspüler. Er schätzte sie auf siebzehn oder achtzehn.
    »Wenn die Wolken sich verziehen, sieht man vielleicht ein paar Sterne.«
    »Wie alt bist du?«
    »Siebzehn.«
    »Gehst du bald aufs College?«
    »Nächstes Jahr.«
    »In der Stadt?«
    »Wenn meine Eltern mich lassen.«
    »Die lassen dich bestimmt«, meinte Grady. Das Mädchen sah ihn an. Er konnte nicht sagen, was sie dachte. »Aber sei schön vorsichtig«, sagte er. »Das ist ganz was anderes als diese Kaffeebude.«
    Das Mädchen lachte. »Okay«, antwortete sie. »Danke.«
    »Jetzt ist es dunkel.« Grady lächelte das Mädchen an und nahm den Kaffee vom Tresen.
    Er ging nicht zum Wagen zurück, sondern schritt am Rand der Schotterfläche entlang, wo diese auf den Asphalt der Straße traf. Ein Auto fuhr vorbei, und er sah zu, wie es im gelben Schein der Blinkampel langsamer wurde. Der Kaffee war heiß, und er nippte im Gehen daran.
    Hinter dem Motel fand er den Pferdeanhänger und den Truck. Er schaute hinein, erst auf der Fahrerseite und dann noch einmal auf der Beifahrerseite. Der untere Teil der Karosserie war völlig verdreckt, bis hinauf in die Radkästen. Er ging zu den Pferden hinüber, hielt die Hand in den Anhänger und ließ sie an seinen Fingern nach Essbarem herumschnuppern. »Ich habe nichts für euch«, sagte er.
    Wieder nippte er an seinem Kaffee und betrachtete die Rückseite des Motels. Eine Reihe kleiner, quadratischer Badezimmerfenster, alle hoch oben. Jetzt würden diese Fenster wie Spiegel sein, bei der Dunkelheit draußen; es würde nichts als eine Spiegelung darin zu sehen sein. Er zählte die Zimmer ab. Zwei erleuchtete Fenster nebeneinander.
    Als er den Kaffee ausgetrunken hatte, stellte er den Becher in den Kies und ging zur Vorderseite des Motels. Er beobachtete die Frau im Büro. Sie saß da und blickte auf einen Computerbildschirm. Der Empfangstresen verbarg sie zum größten Teil. Grady schritt die Reihe der

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