Schrei Aus Der Ferne
er eine potenzielle Gefahr, solange er frei herumläuft. Dem sollten wir begegnen. Es ist mit Sicherheit unsere Pflicht, die Öffentlichkeit davon zu informieren, dass er auf freiem Fuß ist. Wir sind dafür verantwortlich. Ich. Sie. Besonders Sie. Wenn es in den nächsten zwei Tagen keinen Durchbruch gibt, lassen Sie das Pressebüro mit den Medien reden. So etwas werden sie begierig aufsaugen.«
»Das wird nur dazu führen, dass er noch weiter abtaucht«, sagte Noble.
»Vielleicht. Aber vielleicht auch nicht. Wenn er das Mädchen entführt hat, könnte es ihn nervös machen und aus der Deckung locken.«
»Eine gefährliche Taktik, Will. Was ist, wenn der Schuss nach hinten losgeht?«
»Achtundvierzig Stunden Zeit, das ist möglicherweise alles, was wir haben.«
Auf die Schulter ihres Mannes gestützt, verließ Ruth Lawson das Krankenhaus. Eine besorgte Anita Chandra folgte ihnen mit einem Schritt Abstand. Als sie sich langsam dem Auto näherten, verscheuchte die Polizeibeamtin einen aufdringlichen Fotografen, wobei sie wusste, dass in diesem Augenblick eine ganze Horde von ihnen das Haus der Lawsonsumschwärmte, dass sie scherzten, lachten, in ihre Handys sprachen und ihre leeren Styroporbecher in die Sträucher warfen, als würden sie dort aufblühen.
Ruth wirkte völlig leblos, ihre Haut glich einer ungrundierten Leinwand. Jede Spur von Farbe war verschwunden, abgesehen von dem unüberlegten Versuch, Lippenstift aufzutragen. Einmal angeschnallt im Wagen, schloss sie die Augen und drückte ihre Fingerspitzen mit den abgekauten Nägeln fest in die Handflächen.
Andrew beugte sich hinüber, um sie auf den Kopf zu küssen, und ihr Haar fühlte sich an wie fest aufgewickelter Draht.
Ein Aufschrei ertönte, als der Wagen an der Straßenecke auftauchte, die Kameramänner und Fotografen ließen ihre Zigaretten fallen, klappten ihre Mobiltelefone zu und rannten auf die Straße, wo sie um die besten Positionen wetteiferten.
»Ich gehe voran«, sagte Anita Chandra. »Versuchen Sie, so dicht bei mir zu bleiben wie möglich.«
Fragen prasselten auf sie nieder, als sie vorwärtsstolperten, Ruth verlor mehr als einmal den Halt, blieb aber erst an der Haustür stehen, um zu verschnaufen.
»Was wollen Sie denn?«, schrie sie hysterisch, als sie sich aus dem Griff ihres Mannes befreit und zu der Meute umgedreht hatte. »Sehen, wie ich mich fühle?«
Anita Chandra ergriff vorsichtig, aber fest ihren Arm und führte sie ins Haus.
»Alles in Ordnung«, sagte Ruth, als die Tür geschlossen war. »Mit mir ist alles in Ordnung. Sie können mich loslassen.«
Es gelang ihnen im letzten Moment, sie aufzufangen, als sie umkippte.
Als Will schließlich dazu kam, mit Trevor Cordon zu sprechen, war es schon nach zwei. Nachdem er ihm aufmerksam zugehört hatte, dankte er ihm für seinen Anruf, entschuldigte sich, dass er nicht früher zurückgerufen hatte, und ging Helen suchen.
Er fand sie auf Parker’s Piece, wo sie in der Sonne des frühen Nachmittags auf einer Bank saß und ihr Mittagessen in Form einer Dose Cola und einer Zigarette zu sich nahm. In Wirklichkeit waren es zwei Zigaretten.
»Das ist dein Glückstag«, sagte Will.
»Hab ich in der Lotterie gewonnen? Wurde auch Zeit. Oder hat Leonardo DiCaprio meinen Eintrag auf Facebook gesehen und will mich treffen?«
»Nicht direkt.«
»Dann sag’s schon.«
»Du fährst nach Cornwall. Machst ein bisschen Urlaub. Gleich morgen früh.«
»Schwachsinn!«
»Was ist los? Ich dachte, du würdest dich freuen.«
»Freuen? Das ist so verdammt weit weg.«
»Es ist nicht gerade das Ende der Welt.«
»Aber so gut wie.«
»Unsinn. Du nimmst den Zug in London, von Paddington nach Penzance. In fünf oder sechs Stunden bist du da.«
»Da hast du’s. Das Ende der Welt.«
»Wie gesagt, betrachte es als Urlaub. Als wohlverdiente Verschnaufpause.«
»Toll. Schick lieber Jim Straley, er braucht das dringender als ich.«
»Ich fürchte, das geht nicht. Der stellvertretende Polizeipräsident hat die Sache mit den hohen Tieren dort geklärt. Man erwartet dich. Mit offenen Armen. Sollte mich nicht wundern, wenn der rote Teppich ausgerollt wird.«
Helen drückte ihre Zigarette aus. »Geht’s dabei um den Tod des anderen Mädchens? Hieß sie nicht Heather?«
»Ja.«
»Ich dachte, da wäre alles mit rechten Dingen zugegangen.«
»Könnte auch sein. Dieser Detective Inspector, mit dem ich gesprochen habe, Cordon, hat die Ermittlung geleitet, als sie verschwand. Es dauerte
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