Schrei Aus Der Ferne
ein paar Tage, bis sie gefunden wurde.«
»Sie war doch gestürzt?«
»Ja, in einem Maschinenhaus. Ein Überbleibsel der alten Zinnminen. Cordon hält den Sturz für fragwürdig. Er hat nie geglaubt, dass es so simpel war.«
»Aber wenn er der leitende Ermittler war …«
»Seine Vorgesetzten wollten die Sache gerne ohne Aufsehen durchziehen, zumindest glaubt er das. Cordon war immer davon überzeugt, dass eine weitere Person in den Tod verwickelt war, ohne das je beweisen zu können. Der Untersuchungsrichter hat auf unbekannte Todesursache erkannt, mehr war nicht drin.«
»Und seither?«
»So gut wie nichts, soweit ich das beurteilen kann. Cordon selbst scheint aufs Abstellgleis geschoben worden zu sein, raus aus der Schusslinie.«
»Und wann war das? Vor zwölf, dreizehn Jahren?«
»Dreizehn. 1995.«
Helen ignorierte Wills missbilligenden Blick und griff nach einer weiteren Zigarette. »Ich kann nicht sehen, was es bringen soll, wenn ich jetzt den ganzen Weg dorthin fahre.«
»Vielleicht nichts. Aber wenn dieselbe Frau zwei Kinder unter verdächtigen Umständen verliert, müssen wir unbedingt sicherstellen, dass es keinen Zusammenhang gibt. Es besteht eben die winzige Möglichkeit, dass es doch so ist.«
»Wir sichern uns ab, ist es das?«
»Wir ermitteln so gründlich wie irgend möglich. Wie gefällt dir das? Du solltest dich freuen – schließlich wirfst du mir vor, mich zu sehr auf Mitchell Roberts zu konzentrieren, den Tunnelblick zu haben.«
»Ja«, sagte Helen und stand auf. »Ich versuch, daran zu denken, wenn ich irgendwo auf weiter Flur in einem Zug stecke, ohne Speisewagen, dafür aber mit bis zum Überlaufen verstopften Toiletten.«
Einer der Beamten, die den Computer der Lawsons untersucht hatten, fing Will ab, als er ins Gebäude zurückkehrte.
»Es gibt etwas, das Sie interessieren könnte.«
50
Immer noch standen sich vor dem Haus der Lawsons ein paar Korrespondenten und Fotografen die Beine in den Bauch, in der Hauptsache freie Journalisten, die hofften, etwas an die überregionalen Medien verkaufen zu können. Aber da es keinen sichtbaren Durchbruch in der Ermittlung gab und die Eltern offenbar nicht das Verlangen verspürten, ihren Kummer vor den Kameras zur Schau zu stellen und unter Tränen von ihrem vermissten »kleinen Engel« zu sprechen, war das Medieninteresse bereits am Abklingen.
Der eine oder andere von ihnen erkannte Will, wurde bei seinem Eintreffen munter und stürzte sich auf ihn, um von einer möglichen dramatischen Entwicklung zu hören, Will aber eilte an ihnen vorbei und versprach, später eine Erklärung abzugeben.
»Wie geht es den beiden?«, fragte er Anita Chandra, als sie die Tür öffnete.
»Wie zu erwarten, denke ich.« Es gelang ihr im letzten Moment, das »Sir« zu verschlucken. »Sie wirken verloren. Verloren in ihrem eigenen Zuhause.«
»Die Mutter …?«
»Schwach. In Wirklichkeit nicht ganz da. Sagt eigentlich gar nichts.«
Ruth Lawson saß in einem Sessel. Über ihren Schultern lag eine dünne Decke und über ihrem Schoß noch eine, obwohl der Raum auf Will einen warmen Eindruck machte. Ihr Mann – unrasiert – kam vom Fenster herüber und schüttelte Will die Hand, als dieser eintrat, dann wartete er darauf, dass Will sich hinsetzte, bevor er selbst Platz nahm.
»Es hat eine Entwicklung gegeben«, fing Will an, »schwer zu sagen von welcher Relevanz, aber es hat sich ein Zeuge gemeldet, der behauptet, gesehen zu haben, wie ein Mädchen, das Beatrice ähnlich sah, am Ende der Straße, in der ihr Musiklehrer wohnt, in ein Auto gestiegen ist.« Er machte eine Pause, damit die Eltern die Information erfassen konnten. »Wir gehen diesem Hinweis so gewissenhaft wie möglich nach.«
»Ein Auto«, sagte Andrew. »Das verstehe ich nicht. Ich meine, wie konnte sie das tun? Was für ein Auto?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach ein grüner Vauxhall Corsa«, sagte Will.
»Ausgeschlossen«, sagte Andrew. »Sie würde nicht zu einem Unbekannten ins Auto steigen. Das würde sie einfach nicht tun.«
»Und keiner von Ihnen kennt jemanden, der ein solches Fahrzeug besitzt?«
»Nein«, sagte Andrew. »Nein.«
Ruth sagte nichts. Will war sich nicht einmal sicher, ob sie zugehört oder verstanden hatte, worum es ging.
»Freunde? Familie? Möglicherweise Nachbarn. Jemand, der Beatrice kennt und sie zufällig gesehen hat? Der sie gut genug kennt, um anzuhalten und sie zu fragen, ob sie mitfahren will?«
»Nein«, wiederholte Andrew
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