Schrei Aus Der Ferne
haben?«
Helen hob eine Augenbraue in die Höhe. »Nicht unbedingt. Aber er könnte sie natürlich befummelt haben. Das Kneifen und Kitzeln könnte zu weit gegangen sein. Und vielleicht hat ihm das eine Heidenangst eingejagt.«
»Vielleicht hat ihn das aber auch angemacht.«
»Umso mehr Grund, Angst zu haben.«
Will nahm einen Schluck von seinem Pint. Aus dem Hauptraum des Pubs scholl ein beständiges Summen von Stimmen herüber, das in Abständen von plötzlichem Gelächter oder streitlustigem Geschrei unterbrochen wurde.
»Dieses Boot, das er hat«, sagte Helen. »Das im Jachthafen liegt? Ist es groß genug, um jemanden darauf zu verstecken?«
»Anscheinend. Ich hab ein paar Jungs hingeschickt, die ein bisschen rumgeschnüffelt haben, aber nicht an Bord gegangen sind. Sie sind sich ziemlich sicher, dass niemand auf dem Boot ist. Nach dem, was die Leute sagen, war Henderson eine ganze Weile nicht da.«
»Und der Wagen?«
»Er fährt einen alten Volvo, der wie ein kleiner Panzer gebaut ist. Ausgeschlossen, dass der mit einem Vauxhall Corsa verwechselt wird. Aber die Frau, Catriona, hat einen Polo.«
»Auch nicht das Gleiche.«
»Aber immerhin ähnlich, wenn man sich nicht besonders für Autos interessiert und einen Wagen nur aus dem Augenwinkel sieht.«
»Farbe?«
Will ließ sich eine Sekunde Zeit. »Grün.«
Helen spürte, wie sich ihre Bauchmuskeln anspannten. »Aber sie ist doch bestimmt damit zu den Lawsons gefahren?«
»Ich habe Anita gefragt. Sie ist mit dem Taxi gekommen.«
»Also hätte Henderson nach Hause fahren, den anderenWagen nehmen und rechtzeitig am Ende der Straße sein können, um Beatrice mitzunehmen?«
»Theoretisch ja. Aber aus welchem Grund, es sei denn, es wäre vorher abgemacht worden?«
»Oder er hätte gewusst, dass sich ihr Vater verspäten würde.«
»Das Telefongespräch. Glaubst du, Lyle könnte angerufen haben, um Lawson aufzuhalten?«
»Oder jemand anderen dazu gebracht haben? Warum nicht?«
Will lachte halb und schüttelte den Kopf. »Du liest zu viele Kriminalromane, das ist dein Problem.«
»Was ist schon dabei? Und außerdem recherchieren die Autoren heutzutage ganz ordentlich, jedenfalls einige.«
»Das glaube ich gern. Aber wir haben es mit dem wirklichen Leben zu tun, nicht mit der Literatur.«
Helen grinste. »Das sagst du.« Sie zeigte auf Wills fast leeres Glas. »Möchtest du noch eins?«
»Besser nicht. Und solltest du nicht langsam nach Hause gehen und packen?«
»Bist du sicher, dass ich fahren soll? Erst Mitchell Roberts, jetzt Henderson. Du wirst auch mit seiner Frau sprechen wollen. Könnte nützlich sein, wenn ich dabei bin. Unterrepräsentiert, wie wir sind.«
»Wir?«
»Wir Frauen, Will. Gibt nicht allzu viele von uns in der Dienststelle, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest.«
»Aber da ist Ellie Chapin.«
»Die ist doch noch ein Baby.«
»Na ja, nicht direkt.«
»Aha, Will, du hast also schon mal einen Blick riskiert …«
»Wird Zeit, dass sie in die Gänge kommt. Aus deinem Schatten heraustritt.«
»Da, meinst du, steht sie?«
»Ich denke schon. Es würde ihr guttun. Sie könnte endlich mal ein paar nützliche Erfahrungen sammeln.«
Helen kicherte.
»Du hast eine echt schmutzige Fantasie«, sagte Will und konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken.
»Geb ich zu.«
»Und außerdem erzählst du mir ständig, wie schwierig es für mich sein wird, wenn du flügge geworden bist und das Nest verlassen hast. Vielleicht sollte ich das schon mal üben.«
»Das könnte sogar stimmen.« Helen stand auf. »Komm schon«, sagte sie und nahm sein Glas. »Noch ein schnelles Kleines?«
»Na gut. Warum nicht?«
52
Vierzehn Minuten nach zwei: Ruth war plötzlich wach und wusste nicht, warum. Neben ihr lag Andrew und schlief, er hatte sich auf seiner Seite zusammengerollt. Das schwache Pfeifen seines Atmens war der einzige Laut.
Als sie leise aufstand, schlug ihr die Luft des Raumes kalt entgegen und sie nahm den Morgenmantel vom Haken hinter der Tür und schlüpfte hinein.
Die Tür zu Beatrices Zimmer war geschlossen.
In die Stille des Hauses gehüllt, stand sie einen Augenblick da; sie dachte nicht an Andrew, nur an sich selbst: Die Klinke lag glatt und kalt in ihrer Hand. Sie öffnete die Tür. Geschah es nur in ihrer Fantasie oder zuckte die kleine Gestalt vor dem Spiegel wirklich zusammen?
Ruth schloss die Augen und machte sie langsam wieder auf.
Sie glaubte, ihr Herz stünde still, als sie die Cordjeans mit den
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