Schrei Aus Der Ferne
sich selbst antwortet.«
»Ja«, sagte Henderson nicht sehr überzeugend einen Augenblick später. »Auf die gleiche Weise. Natürlich.«
»Sie teilt also Ihre Vorliebe für das Erotische?«
Keine Antwort.
»Mr Henderson?«
»Nicht unbedingt, nein.«
»Findet sie das vielleicht anstößig?«
»Inspector, das können Sie nicht …«, begann der Anwalt, aber wieder schnitt ihm sein Mandant das Wort ab.
»Sie schätzt es nicht.«
»Aber Sie«, sagte Will, »haben keine solchen Skrupel?«
»Bei Ihnen klingt es so, als wäre es etwas, das die ganze Zeit über stattfindet.«
»Wir sprechen davon, dass Sie Bilder von jungen Mädchen betrachten.«
»Von jungen Frauen.«
»›Die Träume junger Mädchen‹, das war eines der Bücher auf Ihrem Regal.«
»Genau. Ein einziges Buch.«
»Mädchen, die nicht viel älter sind als Beatrice Lawson.«
»Verdammt noch mal!« Henderson ließ beide Fäuste auf den Tisch knallen und schob seinen Stuhl zurück. »Ich sitze doch nicht hier und höre mir Ihre schmutzigen Andeutungen an. Keine Minute länger.«
»Ich denke«, sagte der Anwalt und stand behände auf, »dass die Befragung an ein Ende gelangt ist.«
Will ließ sie bis fast an die Tür kommen.
»Wie schade«, sagte er. »Ich hatte nämlich gehofft, wir würden noch Zeit haben, einige der Dinge zu erörtern, die wir auf Ihrer Festplatte sichergestellt haben.«
Henderson blieb wie angewurzelt stehen.
»Ihr Anwalt kann Ihnen vermutlich Auskunft über die Kinderschutzinitiative CEOPs geben, die sich mit dem Missbrauch von Kindern im Netz befasst. Mehrere Dinge, die wir gefunden haben, könnten in deren Zuständigkeit fallen. Könnten sie zumindest interessieren. Kurze Videosequenzen, die Sie offenbar heruntergeladen haben.«
»In Ordnung.« Henderson drehte sich wieder um und ging auf den Tisch zu.
»›Sexy Girls Doing Homework‹.«
»Ich sagte: in Ordnung.«
»›Putitas de Secondaria‹. Ich spreche so gut wie kein Spanisch, aber ich glaube, das krieg ich noch hin. Schon wieder Schulmädchen.«
Henderson setzte sich wieder, mied Wills Blick und legte den Kopf in die Hände. Neben ihm atmete sein Anwaltlangsam ein, lehnte sich zurück und zog routiniert an seinem Hosenbein, bevor er langsam ein Bein über das andere legte. Der Vormittag würde länger werden, als er sich das vorgestellt hatte.
Obwohl ihr Mann ihr wütend davon abgeraten hatte, war Catriona Henderson damit einverstanden, auch ohne die Anwesenheit eines Anwalts mit der Polizei zu sprechen. Vielleicht hatte ihr die Tatsache, dass sie einer weiblichen Polizistin gegenübersitzen würde, die Befangenheit genommen, vielleicht hatte sie aber auch das Gefühl, nichts zu verbergen zu haben.
Ellie Chapin war seit drei Jahren bei der Polizei, aber erst knapp achtzehn Monate bei der Kriminalpolizei: Bis zu einem gewissen Grad war sie noch in der Orientierungsphase. Ihr dunkles Haar war kurz geschnitten, sie trug einen Seitenscheitel und einen Pony, den sie sich ständig aus den Augen streichen musste; sie war Ende zwanzig und sah jünger aus. Es war ihr peinlich, dass sie gelegentlich nach einem Ausweis gefragt wurde, wenn sie Getränke an der Bar holte.
Sie hatte kein Gramm überflüssiges Fett am Körper, war mittelgroß, drahtig und viel stärker, als man dachte. Ihr Körper war der einer Läuferin. Bei den fünftausend Metern auf der Aschenbahn bemühte sie sich regelmäßig, unter sechzehn Minuten zu bleiben. Im Gelände, wenn sie durch Winterregen und Matsch pflügte, gelangte sie normalerweise vor dem Rest des Feldes ins Ziel. An der Universität war sie Kapitänin der Leichtathletikmannschaft der Frauen gewesen und wäre beinahe in die Auswahl für die World Student Games gekommen.
Wenn Catriona – eine üppige selbstbewusste Frau mit großer Stimme – gedacht hatte, sie würde leichtes Spiel haben, so irrte sie sich. Von anderen Dingen abgesehen hatteEllie das Gefühl, etwas beweisen zu müssen. Ein erfahrener Polizeibeamter saß neben ihr, hatte aber Anweisung, nur im äußersten Notfall einzugreifen. Es war ganz allein ihre Show.
»Wie würden Sie die Beziehung Ihres Mannes zu Beatrice Lawson beschreiben?«, fragte Ellie.
»Ich weiß nicht …«, antwortete Catriona.
»Versuchen Sie es.«
»Ich weiß nicht, ob sie eine Beziehung hatten.«
»Sie haben Zeit zusammen verbracht.«
Catriona schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Wir haben alle Zeit miteinander verbracht, alle vier, Ruth und Andrew, Lyle und ich.
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