Schrei Aus Der Ferne
Beamten beide mitnehmen können, wenn sie gehen.«
»Das können Sie nicht …«, begann Henderson und verstummte.
Die Bücherregale beherbergten ein umfangreiches Lexikon, eine Geschichte von Rolls-Royce Aerospace, verschiedene Bücher über Angeln und Golf und auf einem der oberen Regalbretter zwei großformatige Bücher: ›Lolitas Schwestern‹ und ›Die Träume junger Mädchen‹ – raffinierteWeichzeichner-Fotografien von heranwachsenden Mädchen, die sich allein in malerischen Wäldern ergingen oder zu zweit auf breiten, kunstvoll dekorierten Betten lümmelten, die fast nackten Körper romantisch mit durchsichtigen Stofffetzen bedeckt.
»Das ist Kunst«, sagte Henderson, als Will ihm die Bücher entgegenhielt.
»Ja«, sagte Will und klappte eins davon zu. »Das sehe ich.«
Er war wieder draußen, als Straley vom Jachthafen anrief. »Das Boot ist sauber, Sir. Keine Spur.«
»Stellen Sie sicher, dass jeder verdammte Zentimeter abgesucht wird.« Will klappte sein Handy zu. »Ellie«, sagte er zu Chapin, »schlagen Sie den Hendersons vor, sich ordentlich anzuziehen, und dann kümmern Sie sich darum, dass sie ins Revier befördert werden. Getrennte Wagen.«
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass er nicht verhaftet war, sondern die Polizei lediglich bei ihrer Ermittlung unterstützte, und dass er jederzeit gehen könne, bestand Lyle Henderson auf der Anwesenheit seines Anwalts, bevor er irgendwelche Fragen beantwortete.
Unter den Umständen war Will nicht unglücklich darüber: Das verschaffte ihnen die Zeit für einen ersten flüchtigen Blick auf die Dateien in den Computern der Hendersons, außerdem auf das, was sich eventuell auf der externen Festplatte verbarg.
Es dauerte fast eine ganze Stunde, bis der Anwalt erschien – herausgeputzt in einem gut geschnittenen grauen Anzug, einer senfgelben karierten Weste und einer leuchtend blauen Krawatte, das silberne Haar teuer geschnitten und sorgfältig gebürstet, die schwarzen Schuhe auf Hochglanz geputzt.
Er begrüßte Henderson wenn nicht wie einen alten Freund, dann doch wie jemanden, mit dem er am neunzehntenLoch einen Schluck getrunken oder dem er vielleicht schon beim Bridge gegenübergesessen hatte.
Wills Hand schüttelte er kurz, sein Ton war geschäftsmäßig, gerade noch freundlich, als er um zehn Minuten allein mit seinem Klienten bat, was Will ihm zugestand.
Zu Beginn der Vernehmung ging Will noch einmal durch, was sie bereits über Hendersons Freundschaft mit den Lawsons festgestellt hatten, und fuhr dann damit fort, wo Henderson sich an dem Abend aufgehalten hatte, als deren Tochter verschwand. All das ganz gelassen und sachlich.
Gelangweilt betrachtete der Anwalt seine Fingernägel.
»Sie mögen sie, die Tochter, Beatrice?«
»Ja. Ja, natürlich.«
»Sie machen Späße mit ihr auf dem Boot, albern herum?«
»Manchmal, ja. Hören Sie, das haben wir doch schon alles durchgesprochen.«
»Und sie war einverstanden? Hatte ihren Spaß dabei? Hat mitgespielt?«
»Ja. Wie ich Ihnen bereits gesagt habe, hatte sie manchmal ihre Launen – ich vermute, alle Kinder haben das –, und wenn Andrew oder Ruth etwas sagten, wurde es nur noch schlimmer. Missmutig reicht nicht. Bitterböse trifft es schon eher. Meistens habe ich es geschafft, dass sie sich wieder beruhigte. Ich habe sie einfach zum Lachen gebracht.«
»Durch eine kleine Balgerei, haben Sie gesagt.«
»Das haben
Sie
gesagt.«
»Wie dem auch sei, das war es doch. Körperkontakt.«
»Nicht immer.«
»Kneifen und kitzeln. Fummeln.«
Bevor Henderson antworten konnte, hatte ihm der Anwalt warnend die Hand aufs Knie gelegt. »Ich denke, wir können diesen speziellen Punkt der Befragung jetzt abschließen, Detective Inspector, Sie nicht auch?«
»Sie und Catriona hatten niemals eigene Kinder?«, fragte Will.
Henderson schüttelte den Kopf.
»Aus einem bestimmten Grund?«
»Inspector …«, begann der Anwalt und wollte einen Einwand erheben.
»Wir sind nie dazu gekommen, denke ich«, sagte Henderson. »Viel zu tun, viele Aktivitäten – und ehe man sich’s versieht, ist es zu spät.«
»Aber Sie mögen Kinder? Junge Leute.«
»Ja, wir alle beide.«
»Sie sind gern mit ihnen zusammen.«
»Ja.«
»Alle beide?«
»Ich sagte doch schon: ja.«
»Auf die gleiche Weise?«
Henderson öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen.
»Sie können nicht erwarten, dass mein Mandant für seine Frau spricht«, sagte der Anwalt.
»Es genügt mir, wenn er für
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