Schrei Aus Der Ferne
so. Nicht, dass er müsste.«
»Rufen Sie Kelly an?«
»Das mach ich gleich.«
»Ich muss heute Abend zurück, aber ich könnte morgen mit ihr sprechen. Jederzeit nach zehn, halb elf.«
Efford hatte sein Handy bereits in der Hand.
In Cambridgeshire holte Lorraine Jake früh von der Schule ab. Sie hatte sich freigenommen, um mit ihm zum Zahnarzt zu gehen, denn sie hatte nur einen Termin am frühen Nachmittag bekommen. Später holten sie zusammen Susie vom Kindergarten ab und gingen zu Fuß mit ihr nach Hause. Jake kickte auf dem Weg Kieselsteine vor sich her und jubelte jedes Mal, wenn er ein imaginäres Tor schoss.
Zu Hause angekommen, ließ Lorraine ihn ein wenig fernsehen, während sie Susies Windel wechselte, dann holte sie beiden etwas zu trinken und machte einen Teller mit Leckereien fertig, die sie sich teilen konnten: Weintrauben, Gurken- und Karottenscheiben, Mandarinenspalten.
Während sie das tat, sah sie plötzlich den Mann auf dem Feld. Er stand einfach da, hatte die Hände in die Taschen geschoben und starrte auf das Haus, auf das Fenster, hinter dem sie stand.
Als sie zum zweiten Mal hinsah, war er verschwunden.
64
Als Helen auf der Rückreise von Cornwall war, stellte Ellie Chapin ihren vorläufigen Bericht über die von Simon Pierce besuchten Internetseiten zusammen, nachdem sie sich am Vortag mit der Kinderschutzinitiative CEOPs beraten hatte. Die Mehrzahl dieser Seiten war offenbar einwandfrei und verbreitete entweder weltweit Informationen über verschwundene Kinder oder bot Hilfe und Unterstützung für Eltern an, deren Kinder gestorben oder vermisst waren. Es gab jedoch auch obskure Seiten, deren Aktivitäten verdächtiger waren. Dazu kamen Berichte von bislang unbewiesenen Fällen, in denen Sexualtäter Gruppen infiltriert hatten, entweder um an Bilder zu gelangen oder um Informationen zu erhalten, die sie möglicherweise für ihre eigenen Zwecke nutzen wollten.
Die Seite, auf der Pierce den Vermittler getroffen hatte, der die Bilder von Beatrice an ihre Mutter geschickt hatte, hieß ›Little Angels‹. Diesen Ausdruck benutzten viele Eltern für ihre vermissten oder verlorenen Kinder.
Soweit Ellie feststellen konnte, stellte die Seite eine Unzahl von Bildern kleiner Kinder zur Verfügung – in der Hauptsache, aber nicht ausschließlich, Mädchen –, außerdem Geschichten, was Kindern zugestoßen war, die von zu Hause fortgelaufen oder entführt worden waren. All diese Geschichten waren angeblich wahr, und etliche waren recht schlüpfrig.
Ihre Versuche, die Betreiber der Seite über den Server ausfindig zu machen, waren auf eine Mischung aus Vernebelung und glatter Verweigerung gestoßen, und ihre E-Mails andie Adresse des Vermittlers, der die Fotos von Beatrice verschickt hatte, waren zurückgekommen oder unbeantwortet geblieben. Keine von Pierces Aktivitäten legte jedoch eine Gesetzesübertretung nahe; keines der Fotos, die auf seinem Computer gespeichert waren, war sexuell anstößig oder auf irgendeine Weise fragwürdig.
Seine Geschichte, wie er an das Kleidungsstück von Beatrice gekommen war, hielt genauso stand wie sein dürftiges Alibi für den Abend ihres Verschwindens: Sein Wagen stand etliche Meilen entfernt in einer Werkstatt, und trotz sorgfältiger Überprüfung gab es keinen Beleg dafür, dass einer der örtlichen Taxidienste einen Fahrgast an seiner Adresse oder irgendwo in der Nähe aufgenommen hatte.
Um acht Uhr an diesem Abend, sechsunddreißig Stunden nach seiner Festnahme, wurde Simon Pierce ohne Anklage auf freien Fuß gesetzt.
Sackgasse: kein Anhaltspunkt. Keine glaubwürdigen Augenzeugen, keine neuen Informationen. Die noch andauernde Suche nach den Haltern eines Vauxhall Corsa hatte nichts als ein paar falsche Spuren ergeben. Als Will sich später mit Helen bei schlechtem Kaffee und einer Pizza Margherita für beide in einem kleinen Café in der Nähe der Polizeidienststelle traf, war Beatrice Lawson fast genau sechs Tage verschwunden.
»Entschuldigung«, sagte Helen und rollte ein Stück Pizza zusammen, bevor sie es an den Mund führte, »aber ich bin am Verhungern.«
»Hast du nichts gegessen?«
»Hab ich vergessen.«
»Wie war es überhaupt?«
»Cornwall?«
»Was sonst?«
»Windig. Schön auf seine Weise.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Ich weiß.« Sie trennte noch ein Stück Pizza ab, um es zu verschlingen. »Was den Tod des Mädchens angeht, glaube ich, Cordon hat recht. Es gibt mehr Fragen als Antworten. Und ich
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