Schrei Aus Der Ferne
Jetzt auch noch.
Gott, dachte sie, sag mir nicht, dass ich eine Vorliebe für ältere Männer entwickle.
»Noch einen?«, fragte Efford und wies mit einem Kopfnicken auf ihren Becher.
»Nein, danke. Aber bestellen Sie, was Sie möchten. Ich zahle.«
Er nahm sie beim Wort. Rühreier, Speck, Tomaten, Pilze, Toast. Und Tee.
Helen ließ ihn essen.
Als der Teller halb leer war, sagte sie: »Sie haben gehört, was Ruth zugestoßen ist?«
»Heathers Mum? Nein, was ist mit ihr?«
»Es war in allen Zeitungen, auch ständig im Fernsehen. Ihre Tochter aus zweiter Ehe ist verschwunden. Vor fast einer Woche. Ich bin erstaunt, dass Sie das nicht wissen.«
Die Verblüffung, die sich auf Effords Gesicht abzeichnete, war unverkennbar und aufrichtig. »Ich hab irgendwas über ein Kind gesehen, das verschwunden ist. Ich hatte aber keine …« Er schob seinen Teller zur Seite. »Die arme Ruth! Diese Frau … Sie können sich nicht vorstellen …« Er schüttelte den Kopf. »Ich mochte sie. Sie war in Ordnung. Bisschen hochnäsig natürlich. Die war nicht gerade begeistert, dass ihre Heather sich mit unserer Kelly abgegeben hat. Sie hat’s zwar nie gesagt, aber gemerkt hat man’s trotzdem. Als es dann passierte, wurde das auch klar. Sie hat es nicht rausgelassen, aber ihr Mann. Simon? So ein Arsch! Einer, der nicht auf ’ner Scheißprivatschule war und studiert hat, derwar für ihn nix wert.« Efford trank einen Schluck Tee. »Auf seine Weise hatte er natürlich recht. Nicht mit diesem ganzen Bildungskram, aber er hatte recht, dass es meine Schuld war, was passiert is’.«
»Das glauben Sie? Wirklich?«
»Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen. Nie im Leben. Und dann hab ich mich auch noch darauf verlassen, dass mein Junge auf sie aufpasst. Der hätt’s natürlich besser machen können. Aber trotzdem trag ich die Verantwortung dafür, nicht er. Ich hätte mit ihnen gehen sollen oder keiner.«
»Sie sind sie aber später suchen gegangen. Sobald Ihnen klar wurde, was passiert war.«
»Hat aber verdammt wenig gebracht. Ich konnte überhaupt nix sehen.«
»Der Mann, der Kelly später gefunden hat, hat gehört, wie Sie gerufen haben.«
»Gut für ihn. Weil sie haben’s nämlich nicht gehört, die Mädchen. Das war, wie wenn man in ’ne dicke Decke brüllt. Die Stimme wurde regelrecht verschluckt, und man hat gar nix mehr gehört.«
»Er hat zwei Stimmen gehört. Wenigstens hat er das damals gedacht.«
»Das muss Lee gewesen sein. Er is’ später auch noch rausgegangen, nach mir. Is’ mehr oder weniger geblieben, bis die Polizei kam.«
»Er hat auch nichts gesehen?«
»Der Nebel war doch immer noch so dick wie sonst was. Hat sich ewig nicht verzogen.«
Helen trank einen Schluck von ihrem restlichen Kaffee, der inzwischen bestenfalls lauwarm war. »Gibt es irgendetwas in dieser ganzen Angelegenheit, das Ihnen seither einfallen ist? Etwas, das Sie damals eventuell nicht erwähnt haben?«
»Was denn?«
Helen lächelte flüchtig. »Ich weiß nicht.«
»Leider nicht.«
»Essen Sie auf«, sagte sie. »Wär doch schade, es stehen zu lassen.«
»Is’ irgendwie nicht richtig«, sagte Efford, als er fertig war. »Dass man sich nach ’m Essen keine mehr anstecken darf. Man fühlt sich wie ’n verdammter Krimineller.«
Sie gingen und stellten sich vor die Tür, wo Efford eine Zigarette von ihr schnorrte. Immer noch schob sich der Verkehr, unter dem die zahlreichen roten Busse hervorstachen, mühsam um die wenigen Gebäude herum: die Insel, auf der sie gestrandet waren.
»Sehen Sie Ihren Sohn oft?«, fragte Helen.
»Hin und wieder. Arbeitet hier ganz in der Nähe. In ’nem Farbengeschäft auf der Holloway Road. Er bedient da, wissen Sie. Mischt die Farben, wenn’s gewünscht wird. Solche Sachen.« Er zuckte die Achseln. »Is ’n Job.«
»Und Kelly?«
»Die is’ verheiratet. Hat schon zwei Kinder. Zwei verschiedene Väter, aber so isses. Hat ’ne Wohnung drüben in Camden. Wenn sie Glück hat, bleibt der Typ bei ihr. Der Vater von dem zweiten Kind. Der hat sogar Knete. Wo er die her hat, das is’ was anderes …«
»Glauben Sie, sie würde mit mir sprechen?«
»Vielleicht. Ja, vielleicht. Ich könnte mal durchrufen.«
»Okay, vielen Dank. Und Lee?«
»Ich weiß nicht. Da bin ich mir nicht so sicher. Ich weiß noch, dass ich mal was darüber gesagt hab, und da hat er gleich dicht gemacht. Wollte nichts davon hören.«
»Er hat immer noch ein schlechtes Gewissen.«
»Schätze mal, das is’
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