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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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Steppdecke. »Wir werden sie schrecklich vermissen.«
    »Wen denn?«, sagte Simon lächelnd.
     
    Als Heather am Abend anrief, wie sie es Ruth hatte versprechen müssen, war sie so aufgeregt, dass die Worte beinahe zusammenhanglos aus ihr heraussprudelten. Aber es lief darauf hinaus, dass der Campingplatz super war und man direkt aufs Meer sah, fast jedenfalls, und das Zelt, in dem sie mit Kelly und Tina schlafen sollte, war cool. Voll cool. Kellys Dad war richtig lustig und brachte sie immer zum Lachen, und die Pizza, die sie zum Abendessen gehabt hatten, war supergut gewesen.
    »Hoffentlich vergisst du nicht, dir ordentlich die Zähne zu putzen«, sagte Ruth und hätte die Worte am liebsten verschluckt, sobald sie ausgesprochen waren.
    Die Stille am anderen Ende der Leitung war eine Warnung.
    »Möchtest du kurz mit deinem Vater sprechen?«, fragte Ruth.
    »Jetzt nicht, Mum. Wir wollen an den Strand runter. Kelly wartet.«
    »Aber es ist doch schon dunkel«, sagte Ruth.
    Zu spät. Heather hatte aufgelegt.
    »Sie schickt dir Grüße«, sagte Ruth, als sie in das Zimmer zurückkam, wo Simon saß.
    »Hoffentlich hast du auch welche von mir ausgerichtet.«
    »Natürlich.«
    Ruth setzte sich und nahm die Zeitung zur Hand. Simon blätterte einen Reiseführer über besondere Unterkünfte in Frankreich durch, weil er nach guten Pensionen in der Gegend von Avignon suchte.
    »Wir könnten einen Wagen mieten«, sagte er. »Aix ist nur etwa eine Stunde entfernt. Und dann ist da noch Arles, auch nur ein Katzensprung.« Simon markierte eine Stelle in dem Buch. »Hat nicht Van Gogh viele seiner Bilder dort gemalt? Er und Gauguin, genau das Richtige für dich.«
    »Vielleicht«, sagte Ruth nicht ganz überzeugt.
    Aber Simon hatte Arles bereits abgehakt und ging zu Aix-en-Provence über.
     
    Sie fuhren tatsächlich nach Arles und auch nach Aix. Sie aßen überall wunderbare Gerichte, mieteten sich Fahrräder, wanderten in die Hügel hinauf, schliefen in der Hitze des Nachmittags   – und liebten sich gelegentlich   – und saßen dann abends mit einem Glas gekühltem Sancerre im Freien und blickten in die weiche violette Dämmerung. Auf ihrem Campingplatz an der Küste von Cornwall schien Heather so viele Meilen entfernt zu sein, wie sie es tatsächlich war, und noch mehr.
    Es gab zwei öffentliche Telefonzellen auf dem Campingplatz und nach dem ersten Abend hatten Ruth oder Simon zu einer verabredeten Zeit angerufen, während Heather in der Zelle auf ihren Anruf wartete. Wenn beide Telefone besetzt waren, dauerte es manchmal eine kleine Weile, aber nicht sehr lange. Alan Efford, der ein Handy für seine Arbeit besaß, hatte gesagt, Heather könne es benutzen, wenn es ein Problem gäbe, aber bis jetzt war es nicht notwendig gewesen.
    »Ich würde euch ja eine Karte schreiben«, sagte Heather eines Abends, »aber ich weiß nicht, wo ich sie hinschicken soll.«
    »Schick sie nach Hause«, sagte Ruth. »Dann ist sie da, wenn wir ankommen.«
    Simon schlug vor, auf dem Rückweg in Paris haltzumachen und so die Reise um zwei Nächte zu verlängern. Sie wohnten in einem bequemen, wenn auch etwas schäbigen Hotel auf der Île St Louis, und nach einem langen genüsslichen Frühstück in dem kleinen Hof ließ sich Simon quer durch Paris in das Musée Marmottan Monet schleppen, denn Ruth hatte mehr oder weniger zufällig entdeckt, dass dort vorübergehend zwei große Gemälde der amerikanischen KünstlerinJoan Mitchell   – die sie ganz besonders schätzte   – ausgestellt wurden. Riesige Leinwände, erfüllt von Violett, Grün und Blau in verschiedensten Tönen: Monets Garten bei Giverny, ausgeführt auf die denkbar abstrakteste Weise.
    Ruth stand ganz still vor den Bildern, bis ihre Waden schmerzten, und bewunderte die Kunstfertigkeit von Augen und Händen, die etwas so Schlüssiges, so Vollkommenes schaffen konnten, das über sich hinauswies, während Simon eher ungeduldig von Raum zu Raum ging, immer wieder dezent hustete und von Zeit zu Zeit auf das Zifferblatt seiner Uhr klopfte.
    »Danke«, sagte sie draußen und küsste ihn impulsiv auf die Wange. »Danke, das war wunderbar. Wirklich großartig.«
    Am Abend aßen sie in einem kleinen Restaurant im Marais Ente mit Honig und Feigen, und als sie an der Seine zu ihrem Hotel zurückgingen, nahm sie Simons Hand. »Wir sollten das öfter machen.«
    »Händchen halten?«
    »Du weißt, was ich meine.«
    »Ich weiß. Jetzt, wo Heather älter wird, können wir das vielleicht.« Er

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