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Schrei Aus Der Ferne

Schrei Aus Der Ferne

Titel: Schrei Aus Der Ferne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Harvey
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nicht gestört werden.«
    »Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, fragte Helen, als sie eingetreten waren. »Tee? Kaffee?«
    »Nur etwas Wasser, bitte. Wenn es geht.«
    Während Helen draußen war, erkundigte sich Will nach der Fahrt, nach Janines Arbeit, nach ihren Kindern.
    »Zwei, habe ich recht?«
    »Ja. Drew und Damien. Drew ist fast fünf, Damien drei.«
    »Und Drew ist ein Mädchen?«
    »Ja. Nach Drew Barrymore, daher stammt der Name.«
    »Natürlich. Meine Kleine heißt Susie. Nach Lorraines Großmutter. Susan. Sie war kein Star, fürchte ich.«
    »Lorraine, ist das   …?«
    »Ja, meine Frau.«
    Helen kehrte zurück und balancierte zwei Styroporbecher mit Kaffee und eine Flasche Wasser, über die ein leerer Becher gestülpt war. »Ich möchte nur nicht, dass Sie denken, ich mach das immer«, sagte sie. »Kaffee holen.«
    »Das stimmt leider«, nahm Will Helens Bemerkung auf. »Normalerweise schickt sie mich.«
    Janine belohnte sie mit einem matten kleinen Lächeln.
    »Da gibt es diese Szene in dem Film ›Die Waffen der Frauen‹«, sagte Helen, »in der Melanie Griffith gerade befördert wurde. Ihre zukünftige Assistentin sagt ›Kaffee‹, und Griffith will aufstehen, um welchen zu holen, weil sie das so gewohnt ist. Erinnern Sie sich daran?«
    »Ja«, sagte Janine unsicher. »Ich glaube, ja.«
    »Und dann sagt sie   – Griffith, heißt das   –, sie sagt, sie erwarte nicht, dass ihre Assistentin jemals Kaffee holt, es sei denn, für sich selbst. Diese Szene hab ich immer gemocht.«
    Will machte seinen Kaffeebecher auf und nahm einen Schluck, bevor er den Deckel wieder festdrückte. »Nun«, sagte er und ließ das Wort in der Luft hängen.
    Janine drehte am Verschluss der Flasche und brach das Siegel. Trotz der Doppelverglasung hörte man von der Straße das beständige An- und Abschwellen des Verkehrs und hinter der geschlossenen Tür nur leicht gedämpft das Geräusch von Schritten, Telefonen, Stimmen, Türen, die geöffnet und geschlossen wurden. »Bei unserem   … bei unserem ersten Gespräch«, sagte sie, »haben Sie mir diese Fotos gezeigt   … ich habe gesagt, dass ich ihn nicht kenne, und das war nicht wahr. Ich hab ihn nämlich erkannt. Natürlich. Auf den ersten Blick. Aber ich wollte nicht   …«
    Mit zitternder Hand goss sie sich etwas Wasser in den Becher und hielt diesen dann an ihr Gesicht.
    »Sie haben gesagt, dass er etwas getan hat, noch etwas, etwas Ähnliches, und dass Sie glauben, er könnte noch einmal   … Darüber habe ich später nachgedacht, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Das und was Sie über meine Tochter gesagt haben   …«
    Sie stellte den Becher ab und nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche.
    »Die Fotos   … damals war er natürlich jünger, und sein Haar   – er hatte mehr Haare, glaube ich   – und sein Gesicht   … Es war ein nettes Gesicht. Ich weiß noch, dass ich das damals gedacht habe, an dem Tag, als er in seinem Transporter saß und mich ansah. ›Hast du dich verlaufen?‹, sagte er. Er klang, als käme er aus der Gegend. ›Hast du dich verlaufen?‹ Er lächelte mit den Augen. Und er hatte diesen Hund dabei, einen Collie, der saß neben ihm. Der war noch ganz jung. Ich griff durchs Fenster, um ihn zu streicheln, und er knurrte ein bisschen, das weiß ich noch, und der Mann sagte: ›Nur zu, der gibt nur an, er beißt nicht‹, und deshalb streichelte ich ihn und er leckte mir die Hand ab, und der Mann fragte, wo ich wohne, und als ich ihm das sagte, meinte er: ›Warum steigst du nicht ein, wir nehmen dich bis zur Kreuzung mit, ich und Ezra.‹« Sie schloss die Augen. »Er wirkte so nett. Freundlich und nett. Ein bisschen wie mein Vater.«
    Jetzt stiegen ihr die Tränen in die Augen, aber sie hielt sie zurück und drehte stattdessen das Taschentuch zu einem festen Strang.
    »Alles in Ordnung«, sagte Will leise. »Nehmen Sie sich Zeit.«
    Sie schniefte, trank etwas Wasser und wartete, bis sie ihre Atmung wieder unter Kontrolle bekam.
    »Was ich mich frage«, sagte sie, »wenn ich an den Nachmittagzurückdenke   – das habe ich inzwischen bestimmt tausendmal getan   –, ich frage mich, wie ich so leichtgläubig sein konnte. So dumm. Ich meine, ich wusste Bescheid. Ich wusste, dass es solche Männer gibt. Nicht die Einzelheiten, das nicht, aber ich wusste, dass man von Fremden keine Süßigkeiten annimmt, dass man nicht in fremde Autos steigt, das hatte meine Mutter mir oft genug eingeschärft. Und man hörte ja auch von solchen

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