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Schrei der Nachtigall

Schrei der Nachtigall

Titel: Schrei der Nachtigall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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lange Geschichte. Es war, bevor ich deine Mutter kennenlernte. Ich hatte eine Affäre mit Frau Wrotzeck, und daraus ist Allegra entstanden …«
    »Und wieso hast du mir das nicht schon längst gesagt?«, schrie Luca seinen Vater an und sprang auf. »Wahrscheinlich wusste es jeder, nur ich nicht. Mama, seit wann weißt du es?«
    »Schon immer, dein Vater hat es mir erzählt, als wir zusammengekommen sind. Hör zu, wir …«
    »Nein, ihr hört mir jetzt zu. Hab ich jemals irgendwas nach außen getragen, was wir hier besprochen haben? So viel zum Vertrauen, das in dieser Familie so groß geschrieben wird. Mein Vater, der allseits beliebte Uhrmacher, der kein Wässerchen trüben kann. Ihr hättet es mir längst erzählen können, ich hätte bestimmt meinen Mund gehalten, aber …«
    »Luca«, unterbrach ihn Matteo, »hör mir bitte zu. Wir mussten es so geheim halten, allein schon wegen Allegra und ihrer Mutter. Du weißt doch, wie Herr Wrotzeck war …«
    »Ja, er war das gottverdammt größte Arschloch …«
    »Bitte, sprich nicht so über ihn, auch wenn ich deineWut und deine Enttäuschung verstehen kann. Aber er hätte vielleicht Dinge getan, die …«
    Anna mischte sich ein. »Reden wir Klartext. Du kanntest Wrotzeck, und vielleicht hätte er ein Blutbad angerichtet, wenn er es erfahren hätte. Nur deshalb haben wir geschwiegen. Aber jetzt dürfen wir darüber sprechen.«
    Luca schüttelte den Kopf und meinte: »Ich hätte es doch niemandem gesagt …«
    »Als Kind verplappert man sich manchmal völlig ungewollt. Wir durften das Risiko nicht eingehen. Sei deinem Vater nicht böse. Bitte.«
    Luca legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. »Das ist schon ziemlich beschissen. Allegra ist meine Schwester. Ich geh wieder rüber in mein Zimmer, ich muss das alles erst mal verdauen.«
    »Luca«, sagte Matteo, »ich war immer für dich da und werde es auch immer sein. Du bist mein Sohn, und ich liebe dich über alles …«
    »Und du liebst Allegra über alles. Wie kann man eigentlich alle Menschen so lieben wie du? Gibt es dafür ein Geheimrezept?« Die Ironie in seiner Stimme war wie ein scharfes Schwert. »Jetzt macht das auch Sinn, dass du jeden Tag in die Klinik gefahren bist. Und ich Idiot hab nicht mal gecheckt, dass da was ganz anderes dahinterstecken könnte als nur reine Nächstenliebe. Ciao, ich bin drüben. Aber eins hab ich heute gelernt, mein Vater ist nicht so vollkommen, wie ich immer gedacht habe. Ist aber irgendwo auch ganz beruhigend.« Er wollte bereits in sein Zimmer gehen, als er innehielt und sagte: »Was, wenn Allegra gestorben wäre? Hättet ihr es mir dann auch gesagt?«
    »Ja«, antwortete Matteo mit fester Stimme.
    »Wer’s glaubt.«
    »Ich hätte es dir gesagt, Luca, aber nicht solange Herr Wrotzeck gelebt hätte.«
    »Hast du ihn etwa umgebracht? Damit du es mir endlich sagen kannst?«, fragte er sarkastisch.
    »Bitte, Luca, nicht so!«, herrschte ihn seine Mutter an. »Dein Vater könnte niemals einem Menschen wehtun.«
    »Schon passiert.« Er drehte sich um, ging in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu, was er sonst nie tat. Er warf sich aufs Bett, setzte die Kopfhörer wieder auf und stellte die Lautstärke noch ein wenig höher, bis es in seinen Ohren dröhnte.
    »Er ist sehr verletzt«, sagte Matteo mit traurigem Blick. »Das wollte ich nicht. Ich wollte niemanden mehr verletzen, seit dieser Sache damals mit meiner Mutter. Ich habe nie mit ihr Frieden schließen dürfen … Und jetzt auch noch Luca.«
    »Er wird darüber hinwegkommen.« Anna setzte sich neben Matteo und nahm ihn in den Arm. »Luca wird sich irgendwann mit dem Gedanken anfreunden, eine Schwester zu haben. Eine zauberhafte Schwester.«
    »Ich weiß es nicht. Er war verliebt in sie, und jetzt mit einem Mal darf er es nicht mehr sein. Das ist nicht leicht zu verkraften. Luca wird mich dafür hassen.«
    »Matteo, so kenne ich dich ja gar nicht«, sagte Anna aufmunternd. »Luca kann nicht hassen, er kann es so wenig wie du, weil du sein Vater bist. Er ist enttäuscht, dass wir in seinen Augen so wenig Vertrauen zu ihm hatten. Und daskann ich gut nachvollziehen. Er wird dir nicht lange böse sein, glaub mir.«
    »Gehen wir noch ein bisschen spazieren? Ich möchte an die frische Luft und nachdenken.«
    »Gerne. Ich zieh mir nur schnell was anderes an.«
    Matteo und Anna gingen gemäßigten Schrittes Hand in Hand durch das stille, wie ausgestorben wirkende Bruchköbel. Durch schmale Gassen und vorbei an alten

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