Schrei in der Nacht
die Straßen nach uns ab. Wir
müssen hier eine Nacht bleiben!«
»Hier bleiben?« wiederholte sie
gefährlich ruhig. »Wenn ihr das glaubt, seid ihr auf dem
Holzweg. Ich möchte lieber, daß sie dich gleich fassen,
Johnny, bevor du dich noch weiter in diese Narrheit
einläßt!« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und
ging in einen Vorraum, wo neben der Tür ein Tischchen mit einem
Telefon stand. Als sie jedoch den Hörer abnahm, stürzte sich
Rogan auf sie und packte sie so grob, daß die Taille ihres
Kleides mehrere Zentimeter weit aufriß.
»Laß sie los!« schrie Murphy und warf sich auf Rogan.
Fallon sprang zwischen sie und warf Rogan gegen die
Wand. »Hört auf – beide!« brüllte er sie
dabei an.
Für einen Moment herrschte Ruhe, und Fallon
drehte sich von Rogans haßerfülltem Gesicht weg und dem
Mädchen zu, das weinend über den Tisch gebeugt lag. »Es
tut mir leid, Miß Murphy«, entschuldigte er sich.
»Wir werden Sie nicht länger stören!« Und zu dem
Jungen gewandt, setzte er hinzu: »Du bleib hier, bei deiner
Schwester!«
Das Mädchen drängte das
Schluchzen zurück und stieß hervor: »Das ändert
nichts an der Sache! Ich rufe auf jeden Fall die Polizei an, bevor er
noch tiefer in die Sache verstrickt wird.«
Wieder nahm sie den Hörer auf und begann
entschlossen eine Nummer zu wählen. Fallon drehte sich schnell um
und ging aus der Küche hinaus auf den Hof. Unter einer Lampe blieb
er stehen und wartete, bis Rogan und der Junge zu ihm traten. Dann
wollte er etwas sagen, aber Murphy schnitt ihm kopfschüttelnd das
Wort ab: »Sie glauben doch nicht, daß ich hierbleibe, bis
die Polizei erscheint, Mr. Fallon. Ich gehe natürlich mit
Ihnen.«
Fallon lachte grimmig. »Du wirst dir damit etwas Schönes einbrocken.«
Wieder einmal nahm der Regen zu, und sie schritten
alle drei die Straße entlang. Rogan hatte seinen Jackettkragen
hochgeschlagen, aber das war nur ein unzureichender Schutz. Längst
war er bis auf die Haut durchnäßt, fluchte nun ständig
vor sich hin. Auch Fallon war von tiefer Hoffnungslosigkeit
erfaßt. Die Schlinge zog sich immer enger zusammen, und kein
Ausweg war mehr zu erkennen. Es gab kein Versteck mehr – oder
vielleicht doch? Er blieb plötzlich stehen und starrte vor sich
hin, so daß der Junge ihn ängstlich fragte: »Ist
irgend etwas mit Ihnen?«
Langsam schüttelte Fallon den Kopf. »Mir
ist nur eben eine Idee gekommen. Kennst du den Cadogan Square?«
Murphy nickte. »Natürlich, er ist etwa eine halbe Meile von hier entfernt.«
Einen Augenblick lang zögerte Fallon noch, doch
dann war sein Entschluß gefaßt. »Also gut. Führ
uns dorthin, und zwar auf dem schnellsten Weg!«
Murphy nickte und begann rasch
auszuschreiten. Er führte sie wieder durch Seitenstraßen,
blieb aber jetzt an den Ecken stehen und hielt erst vorsichtig nach der
Polizei Ausschau, bevor sie die belebteren Straßen kreuzten. Sie
brauchten kaum zwanzig Minuten, um an ihr Ziel zu gelangen. Lediglich
drei Laternen erhellten den Platz, und die entfernteren Winkel lagen im
Dunkel. Fallon schritt quer über den Platz voran, und als sie das
Tor in der Mauer erreichten, zögerte er noch einmal. Ein
jäher Windstoß trieb ihnen einen Regenguß in die
Gesichter; da entschloß er sich endgültig, öffnete das
Tor und trat ein.
Kurz danach stand er wieder auf der
obersten Stufe des Aufgangs und zog an dem alten Klingelzug. Wind und
Regen waren so stark, daß er das Geräusch der Klingel aus
dem Hause nicht hörte. Sie mußten einige Zeit warten; dann
erschien ein Lichtschein im Flur. Was, zum Kuckuck, soll ich ihr
eigentlich sagen? fragte sich Fallon; da öffnete sich auch schon
die Tür, und im Lichtschein stand Anne Murray vor ihm. Einen
Augenblick lang starrte sie ihn an, dann wanderte ihr Blick zu seinen
Begleitern. Er wollte sprechen, aber die Worte kamen nicht.
Schließlich trat sie zurück und forderte ihn mit einem
Anflug von Lächeln auf: »Treten Sie ein, Mr. Fallon. Ich
habe Sie erwartet.«
5
In der Dachkammer war es eiskalt, und der Regen trommelte
unablässig gegen die Scheibe des großen Fensters in dem
schrägen Dach. In der Mitte des Raumes standen zwei alte rostige
Bettgestelle; in den Ecken aber waren Kisten aufgestapelt, die
irgendwelches, durch Jahre hindurch angesammeltes Gerümpel
enthielten. Ein schwacher Geruch nach Moder und Staub hing über
allem, und Rogan schaute sich mit einem Ausdruck von Abscheu in dem
Raum um. »Ist dies das
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