Schrei in der Nacht
Pullover mit dem Rautenmuster anziehen. Er lag im Wandschrank.
Sie blickte zur Schranktür und begriff, was sie die ganze Zeit unbewußt gestört hatte.
Als sie aufgestanden war, hatte sie ihren Morgenrock aus dem Schrank genommen. Aber gestern abend hatte sie ihn auf die Frisierbank gelegt.
Die Bank war inzwischen ein Stück von der Frisierkommode abgerückt worden und stand nun wieder genau ausgerichtet davor, exakt in der Mitte.
Kein Wunder, daß sie geträumt hatte, Erichs Gesicht zu sehen. Sie mußte unbewußt gemerkt haben, daß er im Zimmer war. Warum war er nicht geblieben? Sie erschauerte. Sie bekam eine Gänsehaut. Aber es lag nicht an der Kälte. Sie hatte Angst. Angst vor Erich, ihrem eigenen Mann? Natürlich nicht, sagte sie sich. Ich habe Angst, daß er mich zurückweist. Er ist zu mir gekommen und wieder gegangen. War er mitten in der Nacht zur Hütte zurückgekehrt, oder hatte er im Haus geschlafen?
Leise zog sie Morgenrock und Hausschuhe an und trat in den Flur. Die Tür von Erichs altem Zimmer war geschlossen. Sie ging hin und horchte. Sie hörte nichts.
Langsam drückte sie die Klinke hinunter und machte auf.
Erich lag zusammengerollt, in die bunte Decke gehüllt, im Bett. Nur sein Ohr und seine Haare waren zu sehen.
Sein Gesicht war in den Falten irgendeines weichen, seidigen Stoffs vergraben. Leise ging sie in den Raum und wurde sich eines vertrauten, schwachen Dufts bewußt. Sie beugte sich über ihn. Er drückte im Schlaf das seegrüne Nachthemd an sich…
Jenny und die Kinder waren fast mit dem Frühstück fertig, als Erich nach unten kam. Er wollte nicht einmal Kaffee. Er hatte bereits einen dicken Parka an und trug ein Gewehr, offensichtlich ein teures Jagdgewehr, wie Jenny erkannte, obgleich sie in solchen Dingen so gut wie keine Ahnung hatte. Sie betrachtete es nervös.
»Ich weiß noch nicht, ob ich heute abend zurückkomme«, sagte er. »Ich weiß nicht, was ich mache
— irgendwas auf der Farm auf jeden Fall.«
»Gut.«
»Und stell bitte nicht wieder die Möbel um, Jenny. Es hat mir absolut nicht gefallen.«
»Das habe ich gemerkt«, sagte sie gelassen.
»Ich habe Geburtstag, Jen.« — Seine Stimme klang unnatürlich hoch, jung, fast wie die Stimme eines kleinen Jungen. »Willst du mir nicht gratulieren?«
»Ich warte lieber bis Freitagabend. Mark und Emily kommen zum Essen. Dann können wir zusammen feiern.
Wäre dir das nicht lieber?«
»Vielleicht.« Er kam näher. Der kalte Stahl des Gewehrlaufs streifte ihren Arm. »Liebst du mich, Jenny?«
»Ja.«
»Und du verläßt mich auch nie?«
»Ich käme gar nicht auf die Idee.«
»Das hat Caroline auch gesagt, genau dieselben Worte.« Sein Blick wurde nachdenklich.
Die Mädchen hatten geschwiegen. »Daddy, darf ich mitkommen?« bettelte Beth jetzt.
»Heute nicht. Sag mir, wie du heißt.«
»Beth Kruuga.«
»Tina, wie heißt du?«
»Tina Kruuga.«
»Sehr gut. Ich bring’ euch beiden etwas mit.« Er gab ihnen einen Kuß und trat wieder zu Jenny. Er stellte das Gewehr an den Herd und nahm ihre Hände, fuhr sich damit durchs Haar. »Wie ich das mag«, flüsterte er.
»Bitte, Jen.«
Seine Augen waren nun starr auf sie gerichtet. Sie sahen so aus wie in dem Traum. In einer zärtlichen Aufwallung gehorchte sie. Er sah so verletzlich aus, und er hatte es gestern nacht nicht fertiggebracht, bei ihr Zuflucht zu suchen.
»Gut«, sagte er lächelnd. »Das tut so gut. Danke.«
Er nahm sein Gewehr und ging zur Tür. »Auf Wiedersehen, ihr beiden.«
Er lächelte Jenny an und zögerte. »Liebling, ich habe eine Idee. Laß uns heute abend essen gehen — nur wir beide. Ich sag’ Rooney und Clyde, sie sollen ein paar Stunden bei den Kindern bleiben.«
»Oh, das wäre herrlich!« Wenn er anfinge, gerade diesen Tag mit ihr zu teilen! Dies ist wirklich ein Durchbruch, dachte sie, ein gutes Omen.
»Ich ruf im Groveland Inn an und bestelle für acht Uhr einen Tisch. Ich habe dir ja schon ein paarmal versprochen, dahin zu gehen. Sie haben weit und breit die beste Küche.«
Das Groveland Inn — wo sie sich mit Kevin getroffen hatte. Jenny fühlte, wie sie erbleichte.
Als sie mit den Mädchen zum Stall kam, wartete Joe schon auf sie. Sein sonst so strahlendes Lächeln war verschwunden, sein frisches Gesicht wirkte ungewohnt düster.
»Onkel Josh ist heute morgen gekommen. Er war ziemlich betrunken, und Ma hat ihn hinausgeworfen. Er hat die Tür aufgelassen, und Randy ist weggelaufen.
Hoffentlich passiert ihm nichts. Er
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