Schrei in der Nacht
liebevoll ihre gesunden kleinen Körper und bürstete die frisch gewaschenen Locken nach hinten. Als sie jedoch die Pyjamas zuknöpfte, fingen ihre Hände stark an zu zittern. Ich werde immer nervöser, schalt sie sich. Es ist nur, weil ich mir so unaufrichtig vorkomme und alles, was Erich sagt, in den falschen Hals kriege. Dieser verdammte Kevin.
Sie hörte, wie die Mädchen beteten. »Lieber Gott, mach, daß es Mami und Daddy immer gutgeht«, begann Tina. Sie verstummte und sah sie an. »Oder beide Daddys?«
Jenny biß sich auf die Lippe. Es war Erichs Schuld, er hatte es in Gang gebracht. Sie würde die Kinder nicht dazu bringen, Kevin in ihren Gebeten auszuklammern.
Und dennoch… »Warum sagt ihr heute nicht, daß der liebe Gott es allen gutgehen lassen soll?« schlug sie vor.
»Und Feuermaid und Maus und Tinker Bell und Joe…«
fügte Beth hinzu.
»Und Randy«, erinnerte Tina sie. »Kriegen wir auch einen kleinen Hund?«
Jenny sah noch einmal nach, ob sie gut zugedeckt waren, und dabei wurde sie sich bewußt, daß sie jeden Abend weniger Lust hatte, wieder nach unten zu gehen.
Wenn sie allein war, schien das Haus zu groß zu sein, zu still, beinahe bedrückend. An windigen Abenden ertönte von den Bäumen ein Ächzen, das die Stille zerschnitt und ihr manchmal durch Mark und Bein ging.
Und selbst jetzt, wo Erich da war, wußte sie nicht, was sie erwarten sollte. Würde er über Nacht bleiben oder zur Hütte zurückgehen?
Sie ging hinunter. Er hatte Kaffee gemacht. »Du bist lange oben gewesen, Liebling. Die beiden waren wohl sehr schmutzig?«
Sie hatte ihn um die Wagenschlüssel bitten wollen, aber er ließ ihr keine Gelegenheit. Er nahm das Tablett mit dem Kaffeeservice. »Gehen wir ins Wohnzimmer, damit ich mich an die neue Umgebung gewöhnen kann.«
Während sie ihm folgte, dachte sie unwillkürlich, wie gut sein dicker weißer Pullover mit dem Zopfmuster sein volles, goldenes Haar zur Geltung brachte. Mein attraktiver, erfolgreicher und begabter Ehemann, dachte sie und erinnerte sich mit leiser Ironie daran, was Fran gesagt hatte: »Er ist einfach zu vollkommen, verstehst du?«
Im Wohnzimmer wies sie ihn darauf hin, wie sehr der Raum mit seinen schönen Möbeln durch die wenigen Änderungen gewonnen habe.
»Wo hast du all die Sachen hingebracht?«
»Die Gardinen sind auf dem Speicher. Die kleinen Stücke sind im Geschirrschrank in der Speisekammer.
Findest du nicht auch, daß es viel besser aussieht, wenn der Tisch unter ›Erinnerung an Caroline‹ steht? Als das Sofa darunter war, hatte ich immer irgendwie den Eindruck, daß der Bezugsstoff von dem Bild ablenkt.«
»Vielleicht.«
Sie konnte nicht sagen, ob er positiv oder negativ reagierte. Nervös versuchte sie, seine Einsilbigkeit dadurch wettzumachen, daß sie weiterredete. »Und findest du nicht auch, daß man den kleinen Jungen —
dich! — viel besser sieht, wenn das Licht so fällt? Vorher war dein Gesicht fast im Schatten.«
»Das ist ein bißchen weit hergeholt, Liebling. Das Gesicht des Jungen ist doch so konzipiert, daß es an den Rändern verschwimmt. Als frühere Kunststudentin, die dann in einer bekannten Galerie gearbeitet hat, müßtest du das eigentlich gemerkt haben.«
Er lachte.
Hatte er einen Scherz machen wollen? Oder schien in allem, was er heute abend sagte, irgendeine Spitze zu sein? Jenny nahm ihre Kaffeetasse hoch und merkte, daß ihre Hand zitterte. Die Tasse rutschte prompt von der Untertasse, und der Kaffee schwappte auf das Sofa und den Orientteppich.
»Jenny, Liebling. Warum bist du so nervös?« Er machte ein besorgtes Gesicht. Dann fing er an, die Kaffeeflecken mit seiner Serviette aufzutupfen.
»Nicht hineinreiben«, warnte Jenny. Sie lief in die Küche und holte eine Flasche Sodawasser aus dem Kühlschrank.
Mit einem Schwamm bearbeitete sie wütend die flecken. »Gott sei Dank, daß ich noch keine Sahne hineingetan hab’«, murmelte sie.
Erich sagte nichts. Dachte er nun, das Sofa und der Teppich seien ruiniert, wie damals die Eßzimmertapete?
Aber mit dem Sodawasser ging alles weg. »Ich glaube, jetzt ist nichts mehr zu sehen.« Sie richtete sich langsam auf. »Tut mir leid, Erich.«
»Keine Sorge, Liebling. Willst du mir nicht sagen, warum du so außer Fassung bist? Du bist außer Fassung, Jen. Zum Beispiel der Zettel. Noch vor ein paar Wochen hättest du gewußt, daß ich dich nur ein bißchen aufziehen will. Dein Sinn für Humor ist doch einer deiner großen Vorzüge, Liebling. Verlier
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