Schrei in der Nacht
wahr?«
»O mein Gott.« Jenny löste sich von ihm. »Laß mich zu Bett, Erich. Ich fühle mich nicht gut, wirklich.«
Er folgte ihr nicht die Treppe hinauf. Sie schaute nach den Mädchen. Sie schienen fest zu schlafen. Tina bewegte sich, als sie ihr einen Kuß gab.
Sie ging ins Schlafzimmer. Der leichte Kiefernduft, der immer in dem Raum zu hängen schien, kam ihr irgendwie intensiver vor als sonst. War es, weil sie sich so merkwürdig fühlte? Ihr Blick fiel auf die Kristallschale. Morgen würde sie das Ding ins Gästezimmer stellen. Oh, Erich, bleib heute nacht da, bat sie stumm. Geh nicht in dieser Stimmung fort. Und was war, überlegte sie, wenn Kevin nun anfing, sie mit Anrufen zu behelligen? Wenn er womöglich die Adoption aufhielt? Wenn er ein offizielles Besuchsrecht bekam? Es wäre unerträglich für Erich. Es würde ihre Ehe kaputtmachen.
Sie ging ins Bett und schlug entschlossen ihr Buch auf.
Aber sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Ihre Lider waren bleischwer, und ihr Körper tat an ganz ungewohnten Stellen weh. Joe hatte sie schon gewarnt, daß sie das vom Reiten erwarten mußte. »Sie werden Muskeln merken, die Sie bis jetzt noch gar nicht gekannt haben«, hatte er mit einem breiten Lächeln gesagt.
Schließlich knipste sie das Licht aus. Etwas später hörte sie Schritte auf dem Flur. Erich? Sie stützte sich auf einen Ellbogen, aber die Schritte erklangen nun von der schmalen Treppe zum Dachboden. Was tat er dort? Nach einigen Minuten hörte sie ihn herunterkommen. Er mußte irgend etwas Schweres tragen oder vielmehr ziehen. Alle paar Schritte plumpste etwas auf die Dielen. Was machte er?
Sie wollte gerade aufstehen und nachschauen, als sie Geräusche von unten hörte, Geräusche von Möbeln, die umgerückt wurden.
Natürlich, dachte sie. Jetzt schiebt er die Sachen dorthin zurück, wo sie vorher gestanden haben.
Als Jenny am Morgen hinunterstieg, waren die Gardinen wieder aufgehängt; jeder Tisch, jedes einzelne der Nippes stand am ursprünglichen Platz, und ihre Pflanzen waren nicht mehr da. Sie fand sie später in der großen Mülltonne hinter der Scheune.
17
Langsam ging Jenny noch einmal durch die Zimmer im Erdgeschoß. Erich hatte es tatsächlich geschafft, jede einzelne Vase und Lampe, alle Sessel und Schemel dorthin zu stellen, wo sie vorher gewesen waren. Er hatte sogar die abscheuliche alte Keramikeule gefunden, die sie in einem Hängeschrank über dem Herd verstaut hatte.
Eigentlich hätte sie nichts anderes erwarten sollen —
trotzdem schockierte sie die unbedingte Ablehnung ihrer Wünsche, die totale Zurückweisung ihres Geschmacks.
Sie machte sich schließlich Kaffee und ging wieder ins Bett. Fröstelnd zog sie die Decke hoch und ließ sich auf die Kissen sinken. Es stand wieder ein kalter und trüber Tag bevor. Der Himmel war grau und dunstig; ein scharfer Wind peitschte gegen die Fensterscheiben.
Der achte März, Erichs fünfunddreißigster Geburtstag, Carolines fünfundzwanzigster Todestag. War Caroline, als sie an jenem letzten Morgen ihres Lebens in diesem Bett aufwachte, außer sich vor Kummer gewesen, weil sie dabei war, ihr einziges Kind zu verlassen?
Oder hatte sie angefangen, die Stunden zu zählen bis zu dem Zeitpunkt, da sie diesem Haus für immer den Rücken kehren konnte?
Jenny rieb sich die Stirn. Sie hatte dumpfe Kopfschmerzen.
Wieder hatte sie unruhig geschlafen. Sie hatte von Erich geträumt: Er hatte immer den gleichen Ausdruck im Gesicht, einen sonderbaren Ausdruck, aus dem sie nie recht klug wurde. Wenn dieser Geburtstag vorbei war und er zurückkam, würde sie in aller Ruhe mit ihm darüber sprechen. Sie hatte vor, ihn zu bitten, mit ihr zu einem Psychiater zu gehen. Wenn er sich weigerte, mußte sie ernsthaft überlegen, ob es nicht doch besser wäre, mit den Kindern nach New York zurückzugehen.
Aber wohin in New York?
Vielleicht würde Hartley sie wieder nehmen?
Vielleicht würde Kevin ihr ein paar hundert Dollar für die Flugtickets leihen. Leihen. Er schuldete ihr weit mehr als das.
Fran ließ sie und die Mädchen bestimmt eine Weile bei sich wohnen. Es war schrecklich viel verlangt und brachte alle möglichen Ungelegenheiten mit sich, aber Fran war ein guter Kumpel.
Ich besitze keinen Cent, dachte Jenny, aber das ist es ja gar nicht. Ich möchte Erich nicht verlassen. Ich liebe ihn.
Ich möchte den Rest meines Lebens mit ihm verbringen.
Sie fror immer noch. Eine heiße Dusche half vielleicht.
Und sie konnte ja den dicken
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