Schrei in Flammen
Letoft neben seinem Vater. Zwei stolze Männer, die einladend lächelnd vor einem großen, modernen Glashaus standen.
Katrine rief Jens an.
»Hi, ich bin grad zu Hause angekommen«, sagte er müde.
Sie erzählte ihm kurz von ihren Funden.
»Du bist einfach …«
Sie konnte hören, dass er lächelte. »Den müssen wir uns morgen vornehmen«, sagte sie.
»Freut mich, dass du das sagst.«
»Was?«
»Ich hab schon befürchtet, du stehst vor seiner Tür oder so.«
»Das würde mir im Traum nicht einfallen.«
Sie verabschiedeten sich, und Katrine folgte dem Strandvej nach Norden. Es konnte ja nicht schaden, dort mal vorbeizufahren, dachte sie, und sich kurz anzusehen, wie er so wohnte.
Christian Letofts Haus lag in einer kleinen Stichstraße, die vom Strandvej abzweigte. Sie stellte den Wagen ab und suchte eine Stelle, an der sie zum Strand kommen konnte. Aber in diesem Abschnitt gab es nur Privatstrände und keinen direkten öffentlichen Zugang. Sie schlenderte langsam an dem Haus vorbei. Hinter den Bäumen und der hohen, abschirmenden Buchenhecke war es kaum zu sehen, aber es war riesig und hatte einen eigenen Badesteg, wie sie sah, als sie den Strandvej noch ein Stück hochgelaufen war und einen freien Blick auf ein kleines Stück Ufer hatte.
Hatten die beiden Geschwister Kontakt gehabt?, überlegte sie. Es deutete alles darauf hin, dass keiner von der Existenz des anderen gewusst hatte. Ob Ditte wusste, dass Maja einen Halbbruder hatte?
Wenn Maja nicht wusste, dass ihr Vater noch einen Sohn hatte, musste Jørn Solhøj seiner Tochter diese Information vorenthalten haben. Vielleicht aus Scham, weil er seinen Sohn zur Adoption freigegeben hatte? Möglicherweise hatte er ihr aber auch von ihm erzählt, aber Maja fehlte der Antrieb, der Mut oder die Lust, ihren Halbbruder aufzusuchen? Vielleicht hatte Christian seinen biologischen Vater aufgesucht und erfahren, dass er eine Halbschwester hatte. Aber hatte er auch gewusst, dass sie als Prostituierte arbeitete? Darüber hinaus bestand auch noch die Möglichkeit, dass Christian überhaupt nicht wusste, dass er adoptiert war.
Es gab viele Unbekannte in der Gleichung, die Katrine vor sich hatte. Und die Informationen, die sie ausgegraben hatte, konnten schwerwiegende Konsequenzen für alle Beteiligten mit sich bringen.
Katrine ging zurück zu ihrem Wagen, fuhr nach Hause und nutzte den verbleibenden Nachmittag und Abend für die liegengebliebenen Aufgaben, für die sie eigentlich angestellt worden war. Sie schrieb einen einleitenden Fragebogen für Interviews von Streetworkern und nahm sich ein Buch über eine komplizierte Netzwerktheorie vor, das sie vor kurzem gekauft hatte.
Mitten in der Nacht wachte sie in voller Montur auf, das Buch lag aufgeschlagen auf ihrer Brust. Sie beeilte sich, ins Bett zu gehen. Im Laufe des Abends hatte es zu regnen begonnen, und jetzt trommelten die Tropfen so laut auf das Dach, dass sie nicht wieder einschlafen konnte. Sie dachte an ihren Vater. Im Lauf der Woche müssten endlich die Testergebnisse kommen. Beim Gedanken daran zog sich ihr Magen nervös zusammen. Sie telefonierte täglich mit ihm. Er klang müde, und sie hörte, dass er sich Mühe gab, munterer zu klingen, als er eigentlich war. Ihretwegen. Sie fragte sich, wann sie das nächste Mal zu ihm fahren konnte. Vermutlich Anfang nächster Woche. Dann konnte die zweite Probe genommen werden, erst danach wusste man mit Sicherheit, ob sie als Spenderin in Frage kam. Die Reise war bereits mit Melby abgesprochen. Trotzdem war die Situation sehr speziell. Sie würde nur fliegen, wenn es wirklich nötig war.
Sie dachte an Jens und fragte sich, wie es wäre, eine echte Beziehung zu haben, einen Partner. Bislang hatte das in ihrem Leben immer an zweiter Stelle gestanden und nie ihre Arbeit überschattet. War das ihre Art gewesen, sich abzukapseln und das Leben nicht zu nah an sich herankommen zu lassen? Auf der anderen Seite erschien es ihr unmöglich, sich ein Leben vorzustellen, in dem die Arbeit weniger Raum einnahm. Dazu hatte sie schlicht und ergreifend keine Lust. In ihr tickte keine biologische Uhr, sie hatte sich nie an der Seite eines Mannes und als Mutter von Kindern gesehen.
Sie wälzte sich hin und her, bis es hell wurde. Um fünf Uhr resignierte sie, stand schwindelig und übernächtigt auf und kochte sich einen Kaffee.
»Christian Letoft?«, fragte Lars Sønderstrøm. »Auf den Namen bin ich vor kurzem gestoßen.«
Katrine Wraa war ins Präsidium gekommen und
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