Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
Aperitif, oder zumindest für eine Pause.
„Ja, gleich“, antwortete die sonore Stimme seines Lebenspartners, dann hörte man Wasser rauschen. Nach einer Minute stand Pavel Beniak im Türrahmen, oder besser, er füllte ihn aus. „Keine Zeit“, sagte er, als ob er Gedanken lesen könnte, „ich muss nochmal raus. Hartmann hat eine erstgebärende Kuh, die seit heute Mittag in der Geburt steckt, er schafft es nicht allein und braucht Hilfe.“ Er stopfte sein T-shirt in die Hose des blauen Overalls und zog sich die Ärmel des Oberteils über, allerdings mit Mühe. „Dieses Scheissding ist wieder kleiner geworden in der Wäsche.“
„Nun ja“, schmunzelte Guido, „ich muss den Stallgeruch schliesslich heraus waschen, nicht wahr?“ Er stand auf und half Pavel beim Ankleiden, nicht ohne seinen Bauch zu tätscheln. „Und das gute Leben trägt auch dazu bei, dass die Kleider immer enger werden.“
„Du bist schuld, du kochst eben zu gut“, antwortete Pavel und wandte sich zum Gehen. „Es kann später werden, je nachdem was ich vorfinde. Warte nicht auf mich – “
„ – aber lass etwas zu essen übrig“, ergänzte Guido den Satz, der zum Grundstock ihrer Paarsprache gehörte, „mach ich, wie immer. Ist Carola noch unten?“
„Ja, sie erledigt den Bürokram und die Planung für nächste Woche. Ciao caro, bis später!“ Voller Elan rannte der Tierarzt die Treppe hinunter. Guido hörte, wie er seiner Assistentin zurief, er sei nur noch in lebensbedrohlichen Notfällen zu erreichen; dann heulte der Motor des Geländefahrzeugs auf, und Pavel brauste in Richtung Villnachern davon. Veterinär mit Leib und Seele, dachte Guido, ein Mann, der ganz und gar in seinem Beruf aufgeht. Weil es weniger Bauern gab als früher, musste Pavel im Erdgeschoss des alten Bauernhauses auch sensible Maine Coon-Katzen und verwöhnte Yorkshire Terrier, falsch gefütterte Meerschweinchen und zahme Ratten behandeln, aber im Grunde war er ein 'Viehdoktor' alter Schule. Kühen, Pferden, Schafen und Ziegen galt seine Liebe, und wenn einer der innovativeren Bauern sich ein paar schottische Hochlandrinder hinzukaufte, dann lernte Pavel alles über die Rasse und half mit viel Enthusiasmus, die richtigen Bedingungen für die Tiere zu schaffen.
Bär ging die Treppe hinunter in die Küche, nahm seine Zigaretten vom Fensterbrett und öffnete die schwere Holztüre zum Hof. Drei ausgetretene Sandsteinstufen führten hinunter zum Gartensitzplatz; halb unter dem ausladenden Dach des Bauernhauses, halb unter einem Nussbaum standen ein massiver Tisch, eine Bank und zwei alte Klappstühle mit wärmendem Schaffell. Er zündete sich eine American Spirit an, setzte sich und streckte seine Beine. Auch ich empfinde eine tiefe Befriedigung, wenn ich schreibe, sinnierte er und schaute in den noch kahlen Garten, und doch fehlt mir die unbändige Energie und Begeisterung von Pavel. Vielleicht hing es damit zusammen, dass das Spektrum seiner Interessen breiter war: als freier Journalist und Schriftsteller befasste er sich mit politischen, gesellschaftlichen, kulturellen, wissenschaftlichen Themen, er schrieb Kolumnen, Reportagen und Romane, hielt Schreibseminare ab, trat an Literatur-Events auf. Woran sein Herz wirklich hing, und wofür er mit vollem Einsatz zu kämpfen bereit war, war nicht das bisschen Berühmtheit und der Erfolg, den sein Beruf mit sich brachte; es war seine Liebe zu Pavel, und ihr gemeinsames, unspektakuläres Leben, in diesem Haus, in dieser kleinen Gemeinde im Aargau. Wenn man so viel Glück erlebt, dachte er zufrieden, freut man sich sogar aufs Altwerden.
„Tschüss Herr Bär, schönes Wochenende!“ Die Praxisassistentin von Pavel stand an der Hausecke. Sie trug die übliche Freizeitkleidung junger Frauen: enge Jeans, Daunenjacke und Turnschuhe; ihr blondes Haar war lang und wurde bei Bedarf hochgesteckt oder zusammengebunden. „Der Telefonbeantworter ist eingeschaltet, die Rechnungen sind geschrieben, und aufgeräumt habe ich auch.“ Sie öffnete das Schloss an ihrem Fahrrad. „Bis Montag!“
„Wiedersehen, Carola, auch ein schönes Wochenende. Tun Sie nichts, was ich nicht auch tun würde!“
Sie lachte, drehte sich um und winkte ihm über die Schulter zu. „Versprochen, Herr Bär, Sie aber auch nicht. Bye!“ Mit einem kleinen Fusstritt schloss sie die schmiedeeiserne Gartentür hinter sich und fuhr in Richtung Umiken davon.
Sechs Stunden später war alles anders.
Angela Kaufmann stand in einem glitzernden
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