Schreib und stirb (Aargauer Kriminalromane) (German Edition)
weit. Seine unbändige Wut auf Andrew, den Mann, der Nicks Freundin Marina in die Karibik ent- und dort vermutlich verführt hatte, beeinflusste damals sein Denken und Handeln, und er wäre beinahe seinen Job losgeworden.
Zum Glück ist das alles vorbei, dachte Nick. Der Fall hatte viel Staub aufgewirbelt, zu viel für seinen Geschmack, denn sobald sich die Politiker einschalteten, wurde es schwierig für das Team der Kriminalpolizei. Unabhängig arbeiten konnten dann nur noch Gerichtsmediziner und Kriminaltechniker, die nichts ausser Fakten rapportierten. Jede Interpretation dieser Fakten wurde zur Gratwanderung, und plötzlich fühlte sich eine ganze Anzahl von Leuten dazu berufen, die Analysen und Schlüsse der Profis in Frage zu stellen. Ich bin es ja gewohnt, dachte er, aber daran gewöhnen werde ich mich nie.
Er schaute auf die Uhr. „Feierabend, Leute. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende, wir sehen uns hoffentlich erst am Montag.“
„Toll, dann habe ich genug Zeit.“ Angela zog ihre Daunenjacke an, während der Computer herunterfuhr.
„Hast du wieder mal ein Rendezvous, oder neudeutsch ein Date?“ Peter war äusserst neugierig, was das Privatleben seiner Kollegin anging. „Wer ist es diesmal? Kennen wir ihn?“
Angela lachte. „Kein Kommentar. Ich gehe an eine kulturelle Veranstaltung, und das interessiert dich sowieso nicht, du Kunstbanause. Tschüss!“ Und schon war sie weg.
„Frech und respektlos sind sie, die Jungen“, ereiferte sich Peter, „besonders die Frauen. Hast du Zeit für ein Freitagabendbier, Chef? Viele Gelegenheiten dazu wirds nicht mehr geben vor meiner Pensionierung, du weisst ja.“
Obwohl Nick lieber direkt nach Hause gegangen wäre, sagte er ja. Eine halbe Stunde würde er seinem Mitarbeiter opfern, vielleicht erfuhr er ja etwas Neues dabei. Die Wahrheit ist, dachte Nick Baumgarten, dass ich ihn vermissen werde, obwohl ich mich so oft über ihn geärgert habe. Und einen würdigen Nachfolger hatte ihm der Chef der Kriminalpolizei, Gody Kyburz, auch noch nicht geliefert. In der nächsten Woche waren ein paar Anstellungsgespräche geplant; hoffentlich war der oder die Richtige dabei. In ruhigen Zeiten, so wie jetzt, brauchte er keine zusätzlichen Ressourcen, aber diese Ruhe würde erfahrungsgemäss nicht lange andauern.
„Ich will dir nämlich informell ein paar Namen vorschlagen für meine Nachfolge, und das geht am besten bei einem Bier in einer ruhigen Ecke. Traube, Küttigen?“
Dass Peter Pfister seinen Nachfolger eigenhändig auswählen wollte, hatte Nick gerade noch gefehlt. Er beschloss, sich nicht aufs Glatteis führen zu lassen und ganz sicher nach einem Bier und einer halben Stunde zu gehen. Ein freies Wochenende war in seinem Beruf selten genug, und er hatte die feste Absicht, es in vollen Zügen zu geniessen.
„Hallo Maggie, schön dich zu sehen.“ Marina Manz nahm ihrer Kundin den eleganten Mantel ab. „Du kannst dich schon mal hinlegen in der hinteren Kabine, ich muss nur noch eine Bestellung abschliessen und komme gleich.“
Rasch und effizient wie immer bereitete Marina die wöchentliche E-Mail an ihren Hauptlieferanten von Feuchtigkeitsmasken, Peelings und Pflegeampullen vor, bat um eine Expresslieferung und drückte auf die Sende-Taste. Dann schaltete sie den Telefonbeantworter ein und warf einen prüfenden Blick in den Spiegel. Sie fühlte sich am Ende einer intensiven Arbeitswoche müde und ausgelaugt, aber der Spiegel zeigte ihr nur das gepflegte, professionell geschminkte, vielleicht etwas bleiche Gesicht einer Frau irgendwo zwischen Mitte vierzig und Mitte fünfzig. Sie allein bemerkte die Querfalte an der Nasenwurzel, tiefer als sonst, Zeichen der lauernden Migräne, die sich entweder auf ihr Opfer stürzen oder sich klanglos zurückziehen würde, man wusste es nie. Sie beschloss, vorläufig auf eine Pille zu verzichten, die letzte hatte sie erst vor sechsunddreissig Stunden genommen. Sie atmete tief ein und aus, befahl dem dreiwurzligen Gesichtsnerv, sich zu beruhigen, und strich sich eine Strähne ihres lockigen braunen Haars hinters Ohr. Trotz Erschöpfung freute sie sich darauf, Maggie Truninger zu behandeln: sie war eine gute Freundin geworden, nachdem ihr Mann, Direktor Tom Truninger, im Spielcasino erstochen worden war. Maggie war auch die einzige und direkte Verbindung zu Andrew Ehrlicher, dem Mann, wegen dem Marina beinahe Nick Baumgarten im Stich gelassen hätte.
„Entschuldige, ich musste nur noch diese Nachricht
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