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Schritte im Schatten (German Edition)

Schritte im Schatten (German Edition)

Titel: Schritte im Schatten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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ich weiß, aber wenn er mich sieht, dann wird er sich erinnern, was wir einander bedeutet haben, und sich für mich entscheiden.«
    »Hat er Sie eingeladen?«
    »Aber ich habe genauso viel Recht, dort zu sein, wie er, oder etwa nicht? Schließlich bin ich Britin, und Sansibar ist ein britisches Land.« Und dann verschwand sie, um jemand anders ihre Geschichte zu erzählen.
    Zeit vergeht. Und dann sitzt sie mir wieder gegenüber in ihrer hübschen kleinen Bluse, mit sorgfältig frisiertem Haar und ihrer kleinen Handtasche auf dem Schoß. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Mrs. Lessing. Ich bin hingeflogen, aber er hat nicht auf die Nachrichten reagiert, die ich für ihn hinterlegt hatte. Er hat mir zugewinkt, als er mich bei einer Versammlung sah, also habe ich einen Monat gewartet, aber dann bin ich heimgeflogen. Ich glaube, mein Herz ist gebrochen, Mrs. Lessing. Was soll ich tun?«
    Sie dachte daran, nach Südafrika zu gehen, um vielleicht dort einen schwarzen Mann zu finden, und ich sagte: »Seien Sie nicht albern. Sie landen im Gefängnis, wenn Sie sich dort mit einem schwarzen Mann einlassen.« Aber sie flog trotzdem nach Südafrika und stellte fest, dass es so war, wie ich gesagt hatte. Sie reiste durch Afrika und geriet mitten in den Krieg im Kongo. Einen grauenhaften Krieg: Die ganze Welt war bestürzt und schockiert.
    Wieder trinken wir zusammen Tee und rauchen, und ich höre mir an, was sie zu erzählen hat. »Brazzaville gefällt mir«, sagt sie. »Dort gibt es massenhaft schwarze Männer. Ich hatte eine gute Zeit.«
    »Aber dort tobt ein schrecklicher Krieg«, sage ich.
    »Ich habe keinen Krieg gesehen, jedenfalls nicht dort, wo ich war.«
    »Und wie stehen die Dinge jetzt?«
    »Also, ich bin verheiratet, und Daddy ist sehr froh darüber.« Sie hatte am Ufer des Viktoriasees einen Krokodiljäger kennengelernt, und er hatte sich in sie verliebt. »Man hätte meinen sollen, er würde ein schwarzes Mädchen vorziehen. Die gibt es dort massenhaft. Aber er mochte mich.«
    Die Ehe war nicht von Dauer. Sie kehrte zu uns zurück, immer noch davon träumend, dass Mahmoud – jetzt in furchtbaren Schwierigkeiten, weil er einer von den Männern war, die beschuldigt wurden, ihren Anführer ermordet zu haben – eines Tages zu ihr zurückkehren würde.
    Damals gehörte John Dexter zu meinen Freunden. [22] Das war, bevor das Gesetz über Homosexualität geändert worden war, und er war mit einem Jungen erwischt worden. An Einzelheiten erinnere ich mich nicht mehr. Er bekam sechs Monate und wurde nach Wormwood Scrubs gebracht. All seine Freunde besuchten ihn dort. Ich fuhr zweimal hin. Das erste Mal war bestürzend, nicht nur, weil das Gefängnis so düster und widerwärtig war – damit hatte ich gerechnet –, sondern weil John sich in sein Gegenteil verwandelt zu haben schien. Immer wieder erklärte er, er habe seine Strafe verdient, die Polizei sei völlig im Recht gewesen, er habe ein Verbrechen begangen. Beim nächsten Besuch war er wieder sein früheres Selbst, aber der Gedanke ging mir nicht mehr aus dem Sinn, wie gefährdet wir alle sind, wie unsicher wir auf Überzeugungen, auf Prinzipien fußen – auf dem, wofür wir uns halten. John hatte keine körperlichen Misshandlungen ertragen müssen, aber er war die Zielscheibe von Beleidigungen durch die Zeitungen gewesen, er hatte vor Gericht gestanden und war verachtet worden, man hatte ihn als Missetäter verurteilt, dann war er an diesen düsteren Ort gebracht worden, um dort seine Strafe abzusitzen. Kein Wunder, dass Leute falsche Geständnisse ablegen und sagen: Ja, ich bin schuldig. Aber ich hatte so etwas vorher noch nie erlebt, und ich verstand es nicht und hatte Angst, als mir klar wurde, wie dünn die Haut ist, die die Zivilisation über unsere Verstellungen legt.
    Viele Jahre später hielt ich einen Vortrag über Wahrnehmungsbarrieren – über Dinge, die uns daran hindern, klarer zu sehen –, und eine davon war Schuld. Als die Zeit gekommen war, Fragen zu stellen, standen alle auf, einer nach dem anderen, und wollten mehr über Schuld wissen. Schuld, nur Schuld, als wäre von nichts anderem die Rede gewesen. Ich glaube, das ist alles andere als eine einfache Angelegenheit.
    Ich habe Folgendes gerade in einem Buch gefunden,
The Prospect Before Her
von Olwen Huston. Man schreibt das Jahr 1707 . Ein Jesuit predigt.
    Er hielt ihnen (Frauen und Mädchen) die Ungeheuerlichkeit ihrer Sünden vor und den Missbrauch, den sie so oft mit dem Blut Jesu

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